0621 - Die Vergessene von Avalon
des Puzzles in den Händen hielt.
Die Frau war aus meinem Blick verschwunden, denn sie hatte ebenfalls den Seitenweg gefunden und würde in wenigen Sekunden vor der Eingangstür stehen.
Dem wollte ich zuvorkommen. Ich paßte sie genau ab. Bevor sie den Klingelknopf noch durchdrücken konnte, öffnete ich die Tür – und hörte den erschreckten Schrei, der mir entgegenwehte, denn mit einem fremden Gesicht hatte sie wohl nicht gerechnet.
Sie ging zwei Schritte zurück, atmete tief durch und schloß dabei die Augen. Noch jetzt zitterte sie.
»Sorry, wenn ich Sie erschreckt haben sollte. Es war wirklich nicht meine Absicht.«
Sie hatte sich schnell erholt und bewegte ihren Kopf, als wollte sie Wassertropfen abschütteln. »Zum Teufel, Mister, wer sind Sie eigentlich? Können Sie mir das sagen?«
»Sicher. Ich heiße John Sinclair.«
Sie kam wieder vor. »Ich bin Loraine.«
»Wie weiter?«
»Harper. Loraine Harper, aber alle sagen Loraine zu mir.«
»Okay.« Ich gab den Weg frei. An ihren Ohrläppchen hingen Modeschmuckklunker in Form von gelben Sonnen mit stilisierten Strahlenkränzen. Sogar für eine Belohnung hätte ich mir das Zeug nicht an die Ohren gebunden.
Sie hatte überhaupt keine Furcht vor mir. Im Gegenteil, locker schritt sie an mir vorbei, den Kopf bewegend, als wollte sie jedes Detail im Flur in Augenschein nehmen. Im großen Wohnraum trafen wir wieder zusammen.
Loraine Harper stand in der Mitte und hob die Arme. Langsamer ließ sie die Hände wieder fallen. »Jetzt rück mal raus mit der Sprache, John, wo steckt er?«
»Wer?«
Sie fing an zu lachen. »Hör mal?« fragte sie in das Gelächter hinein, »willst du mich verarschen?«
»Bestimmt nicht.«
»Ich spreche von Brian Fuller. Er hat mich angerufen und in diese verdammte, gottverlassene Ecke bestellt, weil ich ihn abholen soll, Okay, ich bin gekommen, aber ich will so schnell wie möglich wieder zurück. Ich habe es nämlich nicht mit der Natur, verstehst du?«
»Klar.«
»Dann ist alles paletti. Sag mir Bescheid, wo sich Brian Fuller aufhält.«
»Ich kenne ihn nicht.«
Das Gesicht der Frau nahm einen wütenden Ausdruck an. Sie fühlte sich tatsächlich auf den Arm genommen. »Du kennst ihn nicht? Verdammt noch mal, lüg mich nicht an! Du mußt Hank sein. Ihr seid zusammen abgehauen. Aus dem Knast und…«
Leider sprach sie nicht mehr weiter, aber ich kapierte schnell.
Wenn sie mir schon die Chance einer anderen Identität bot, mußte ich unbedingt zugreifen.
»Du bist gut informiert.«
»Er rief mich an und hielt mich auch sonst auf dem laufenden.« Ihr Blick bekam einen skeptischen Ausdruck. »Allerdings habe ich mir diesen Hank immer anders vorgestellt.«
»Wie denn?«
»Älter. So hat er ihn jedenfalls beschrieben. Älter als er.«
»Na ja, der Knast macht eben alt. Ich habe mich inzwischen wieder erholen können und auch die Klamotten gewechselt.«
»Brian erzählte davon.« Sie strich über ihre Wange. »Und wo ist dieses Mädchen oder die Frau?«
»Keine Ahnung.«
Loraine Harper sprang auf. »Was bist du nur für ein Trottel? Sind die beiden abgehauen?«
»Möglich.«
Sie zielte mit dem Zeigefinger auf mich. »Hör auf, das kannst du mir nicht erzählen. Was geht hier wirklich vor? Mach dein Maul auf, ich habe keine Lust…«
»Ich weiß es nicht. Ich war am Strand. Als ich zurückkehrte, waren beide nicht mehr da.«
Loraine starrte mich an, schüttelte den Kopf und flüsterte: »Nein, das glaube ich nicht. Nein, so blöde kann keiner sein. Du siehst auch nicht so aus, mein Junge. Sorry, aber ich kann dir einfach nicht glauben. Du willst mir hier was erzählen.«
»Bestimmt nicht.«
»Was wird hier gespielt? Wo steckt Fuller? Hat er eine andere gefunden und sie mit der Beute gelockt? Wenn das der Fall sein sollte, sorge ich dafür, daß er fertiggemacht wird, das kannst du mir glauben. Ich hasse es, wenn man mich hintergehen will, hast du verstanden? Das geht mir auf den Wecker.«
»Kann ich mir denken. Tut mir leid, ich weiß auch nicht, wo die Beute liegt. Er sprach im Knast manchmal davon, aber er hat mir nichts Konkretes gesagt.«
»Das ist seine Art gewesen.« Loraine Harper ballte eine Hand zur Faust. »Ich muß ihn finden, zum Henker. Ich muß einfach wissen, wo er sich herumtreibt. Der kann nicht weit sein. Ihm kommt es immer nur auf das Geld an, alles andere interessiert ihn nicht.«
»Wir können warten«, schlug ich vor.
Sie schaute mich wieder an, als hielte sie mich für einen Irren.
»Wie
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