0622 - Gefangen in den Höllenschlünden
allerdings, ihn gefangen zu nehmen.
Daß sie sich täuschte, glaubte Zamorra nicht. Für solche Dinge hatte Nicole ein feines Gespür. Wenn sie behauptete, es sei ein Beobachter in der Nähe, dann stimmte das auch.
Kein Wunder, daß Horgon sich zu fürchten begann. Die Höllischen gingen mit Verrätern nicht gerade zimperlich um…
Zamorra stieß ihn an. »Komm, erzähl weiter, Freundchen. Wie kommen wir ungesehen in diese Gemächer hinein?«
»Dort war ich noch nie«, gestand Horgon. »Nicht einmal, als Asmodis noch Fürst der Finsternis war. Ich weiß wohl, welcher Weg vom Thronsaal aus dorthin führt, aber…«
»Du bist wahrlich eine große Hilfe. Nun, vielleicht fällt dir etwas ein, wenn du uns weiter führst. Gehen wir.«
»Wie? Jetzt sofort? Aber deine Gefährtin…« Er sah sich nach Nicole um, die bereits außer Sichtweite war und sich irgendwo hinter den rot schimmernden Felsen bewegte, die ringsum aufragten.
»Sie wird schon rechtzeitig wieder zu uns aufschließen«, sagte Zamorra. »Bewege dich. Wenn ich die Karte richtig deute, dann befindet sich Stygias Palast gleich da drüben hinter der Felskante.«
Er deutete auf eine schroffe Steinformation, die dunkler schattiert war als die anderen Felsen. Alles Gestein erweckte hier unter dem rötlichen Himmel den Eindruck, zu glühen.
Horgon nickte.
Er ging wieder vor Zamorra her.
Der Dämonenjäger machte sich um Nicole keine Sorgen. Sie kam allein zurecht, und zur Not konnte sie das Amulett zu sich rufen. Dann wußte Zamorra allein dadurch, daß es von der Halskette vor seiner Brust verschwand, daß Nicole Unterstützung brauchte, und konnte sich ebenfalls ihr zuwenden.
Aber solange nichts geschah, wollte er keine weitere Zeit verlieren. Vorhin hatte der Dämon gedrängt - jetzt drängte Zamorra. Und das nicht ganz zu Unrecht. Daß sie beobachtet wurden, warnte ihn. Falls Nicole den Beobachter nicht erwischte und kaltstellte, bestand die Gefahr, daß Stygia von ihrer Anwesenheit erfuhr. Dann war der Überraschungseffekt bereits verpufft.
Nach ein paar Dutzend Metern erreichten sie die schroffe Felskante. Der Weg führte zwischen zwei großen Steinbrocken hindurch, machte eine Biegung und - endete abrupt vor einer tiefen Schlucht, in deren Grund es hell loderte.
Jenseits der Schlucht erhob sich ein gewaltiges, schädelförmiges Gebilde.
Stygias Palast.
Zamorra sah in die Tiefe. Gluthitze stieg auf. Dort unten brannte Höllenfeuer. Und die Schlucht war zu breit, um sie überspringen zu können. Mit gehörigem Anlauf hätte es vielleicht funktioniert. Aber durch die Wegbiegung zwischen den Felsklötzen gab es keine Möglichkeit, diesen Anlauf zu nehmen.
»Na wunderbar«, sagte Zamorra sarkastisch. »Du bist wirklich ein erstklassiger Fremdenführer, Horgon. Was hindert mich eigentlich daran, dich in diese Schlucht zu stoßen und wieder nach Hause zu gehen?«
Horgon war verunsichert.
»Diese Schlucht kenne ich nicht«, erklärte er. »Sie war früher nicht hier.«
Zamorra zuckte mit den Schultern. Er wußte, daß die Hölle - jene Welt, die der Volksmund als Hölle bezeichnete - nicht absolut stabil war. Es gab nur wenige feste Inseln, auf denen keine Veränderungen stattfinden konnten. Die anderen Bereiche waren veränderlich. Was heute noch so aussah, konnte morgen bereits einen ganz anderen Anblick bieten.
Allerdings pflegten die Dämonen, Teufel und dunklen Geister jene veränderlichen Zonen zu meiden. Es war auch für sie zu gefährlich, sich dort niederzulassen, wo eine Unterkunft einfach verschwinden konnte, während der Dämon sich darin aufhielt und ruhte…
Den Palast, in dem die Fürstin der Finsternis residierte, hatte schon Asmodis bewohnt. Und der war alles andere als ein absoluter Narr. Er hätte den Palast niemals in einer veränderlichen Zone etabliert. Das war Zamorra völlig klar, auch wenn er dieses Gebilde noch niemals in dieser Form von außen gesehen hatte; irgendwie war er immer gleich drinnen angelangt.
Und Stygia wäre noch leichtsinniger gewesen, wenn sie den Palast an einen veränderlichen Ort versetzt hätte!
Wenn Horgon nun behauptete, diese Schlucht habe es früher hier niemals gegeben, gab es drei Möglichkeiten.
Erstens: Horgon log das Rote vom Höllenhimmel.
Zweitens: Die gesamte Struktur dieses Ortes hatte sich gewandelt, und aus einer stabilen Zone war plötzlich eine veränderliche geworden.
Drittens: Jemand hatte diese Schlucht soeben künstlich erschaffen.
Zamorra neigte dazu, die dritte
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