0623 - Odyssee des Grauens
uns herum vorgeht und mit wem wir es zu tun haben. Oder«, er sah provozierend in die Runde, »kann mir einer von euch etwas über diese nächtliche Erscheinung verraten?«
»Wer dich niedergeschlagen hat, interessiert dich gar nicht?« fragte Ahmed ibn Sadr.
»Er wird es mir schon irgendwann beichten«, sagte Zamorra. »Nun, Roana, was ist? Wirst du mir helfen?«
»Ich sehe den Sinn in dieser Aktion noch nicht«, erwiderte sie. »Was versprichst du dir davon, zu wissen, worum es sich bei dieser Erscheinung handelt? Glaubst du im Ernst, daraus ließe sich eine Möglichkeit finden, das Schiff zu verlassen?«
»Vielleicht. Darüber werde ich dann nachdenken müssen«, sagte Zamorra.
»Wir können es ja mal probieren«, sagte Roana. »Aber nur, wenn deine Gefährtin anschließend nicht behauptet, ich hätte ihr nun auch noch dich gestohlen..«
***
Stygia hatte durchaus gute Gründe dafür, sich niemandem zu zeigen. Zu schmerzhaft in jeder Hinsicht war die Niederlage gewesen, die Zamorra und seine Komplizin ihr beigebracht hatten. Ein Laserstrahl hatte Stygias Schwingen teilweise verbrannt. Die Flügel waren für längere Zeit unbrauchbar; die Brandwunden an den Resten der Flughäute schmerzten wie Engelsgelächter, und Stygia brauchte viel Kraft, um diese Schmerzen zu ertragen. Sehen lassen konnte sie sich in diesem Zustand erst recht nicht. Sie könnte die höhnischen Bemerkungen anderer Dämonen nicht ertragen.
Und sie haßte Zamorra mehr denn je.
Er mußte sterben!
Und jetzt bot sich die Gelegenheit. Er befand sich an einem Ort, von dem er nicht fliehen konnte. Einem Ort, den ausgerechnet Asmodis einst geschaffen hatte!
Asmodis, der Abtrünnige, der der Hölle den Rücken kehrte und nicht einmal davor zurückschreckte, zeitweise gar mit seinem einstigen Feind Zamorra zusammenzuarbeiten! Welch eine Ironie, daß nun ausgerechnet sein alter Fluch seinem neuen Verbündeten zum Verhängnis wurde!
Zamorra mußte vernichtet werden.
Das Leben eines rangniederen Dämons war dabei ohne Bedeutung. In ihrer augenblicklichen Raserei hätte Stygia die halbe Hölle geopfert, nur um Zamorra zu töten.
Nein, noch einmal durfte er ihr nicht entkommen!
***
Nicole hatte sich auf den Decken ausgestreckt, als Zamorra die Kajüte betrat. Beinahe kam es ihm so vor, als habe sie versucht, noch ein wenig zu schlafen.
»Schmollwinkel?« fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Quatsch! - Ich weiß selbst nicht, was eben in mich gefahren ist«, sagte sie. »Aber ich hielt es für besser, mich zurückzuziehen. Die Sache ist wohl ganz gewaltig danebengegangen, wie?«
»So kann man das sagen«, brummte er. »Ich kenne dich überhaupt nicht so rechthaberisch. Was war los? Du machst doch sonst keinen Zwergenaufstand wegen ein paar Kleidungsstücken.«
»Soll sie sie doch behalten, wenn es sie glücklich macht«, sagte Nicole. »Warum ich so ausgeflippt bin, ist mir selbst ein Rätsel, aber dafür bin ich jetzt einer anderen Sache auf der Spur.«
»Welcher?«
Sie erhob sich von dem provisorischen Lager. »Erstens«, sagte sie. »Die Sprachen. Bis auf den stummen Bob reden wir alle so, daß wir einander verstehen. Dabei hat jeder der Schiffsleute eine andere Herkunft und eine andere Muttersprache. Gut, ein paar Idiome beherrschen wir beide. Spanisch, Latein und so weiter. Aber ich habe dabei stets den Eindruck, daß jeder in seiner Muttersprache redet. Der Admiral in Altenglisch, der Römer in Latein, Ramirez spanisch, Sadr in einer arabischen Sprache… und trotzdem versteht jeder den anderen. Gerade so als wäre ein automatischer Übersetzer am Werk, der jedesmal, wenn jemand spricht, einerseits dessen Ursprungs-Sprache durchklingen läßt, andererseits aber zugleich dolmetscht. Verrückt, nicht?«
»Hm«, machte Zamorra.
»Und dann«, fuhr Nicole fort, »sagte Roana eben, sie hätte ihre eigenen Sachen über Bord geworfen. Die seien nun weg.«
»Ja, und?«
»Ich frage mich, wie so etwas möglich ist«, sagte Nicole. »Bei einer so totalen Stasis… lieber Himmel, Zamorra, ein paar von diesen Leuten sind seit Jahrhunderten auf dem Schiff, und sie tragen nach wie vor die Kleidung, mit der sie an Bord gekommen sind. Oder?«
Er nickte.
»Sie hatten also keine Möglichkeit, ihre alten Sachen gegen neue zu tauschen. Chef, kannst du mir einen Stoff nennen, der bei ständiger, täglicher Beanspruchung nicht nach ein paar Jahren den Geist aufgibt und langsam, aber sicher zerfällt? Nach Jahrhunderten dürfte davon nichts mehr
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