0644 - Die Bestie von Aronyx
Königspalastes protzig aufragte, um König Wilard allein durch seinen täglichen Anblick stets daran zu erinnern, daß er nur ein vergänglicher Herrscher eines weltlichen Reiches war - und daß es Wichtigeres gab als das. Deshalb war der Tempel auch prunkvoller gestaltet als der Palast.
Was wiederum König Wilard durchaus ein steter Dorn im Auge war; man munkelte, das Verhältnis zwischen Palast und Tempel sei mit ›gespannt‹ noch äußerst milde umschrieben.
Der OLYMPOS-Tempel hingegen befand sich in einem Randgebiet der Stadt, fernab jener Bereiche, in denen die ›oberen Zehntausend‹ lebten. Das zeigte den Stellenwert an, den die Priester des OLYMPOS in Aronyx und überhaupt im Land Grex innehatten.
Sie und ihre Götter galten hier nicht viel.
Kein Wunder, dachte Nicole, während sie sich dem Tempel näherte, wenn die Götter selbst sich hier nicht zeigen wollen, weil sie Ärger mit den Kollegen von der anderen Feldpostnummer befürchten…
Natürlich war es so einfach auch wieder nicht. Schon bei der Entstehung der Straße der Götter waren die »Zuständigkeitsbereiche« festgelegt worden. Hier Grex mit den Dämonen, dort Rhonacon mit den Göttern, und dazwischen das neutrale Khysal, das beiden Richtungen gleichermaßen offenstand, aber auch gleichermaßen unter den kriegerischen Aktionen der beiden anderen Reiche zu leiden hatte. Sobald Rhonacon und Grex gegeneinander Krieg führten, um Ansprüche des ORTHOS oder des OLYMPOS durchzusetzen, marschierten beide durch das dazwischenliegende Khysal. Wie sich dabei die Handelsstadt Salassar am Ufer des Binnenmeeres, der khysalischen See, hatte etablieren und zu seiner prunkvollen Größe heranwachsen können, war wohl eher ein Verdienst der übergreifenden Politik der dortigen Handelsherren, die sich den Abbadon um das scherten, was in der Hauptstadt Sestempe beschlossen und im Land Khysal umgesetzt wurde.
Im Eingangsbereich des Tempels war ein Adept damit beschäftigt, Öllampen zu putzen und aufzufüllen.
Nicole sprach ihn an. »Ist der Tempel der Götter in Aronyx dermaßen arm, daß er zur Illumination nicht einmal Dhyarra-Kristalle einsetzen kann?«
Der Adept fuhr hoch. Im ersten Moment wußte er mit Nicole nichts anzufangen. Dann aber betrachtete er den regenbogenfarbenen Umhang, das regenbogenschillernde Haar, das locker über ihre Brüste floß, die Stiefel, den Gürtel mit der Strahlwaffe, vor allem aber den siebenzackigen Stern mit seinem speziellen Blickfang, dem funkelnden Dhyarra-Kristall, und… begann zu ahnen, daß das Material nicht beim Schneider um die Ecke beschafft werden konnte. Und vielleicht tagträumte er davon, daß der Stern seine Haftfähigkeit verlieren und davonwehen könne, um…
»Herrin…?«
»Ich muß mit Byanca reden«, sagte Nicole. »Du weißt, wen ich meine? Die göttliche Byanca, Tochter des Zeus…«
Er nickte eifrig. »Natürlich, Herrin, selbstverständlich weiß ich, wen Ihr meint. Denn- am Anfang war das Nichts. Nur der Weltenvater Dhasor und die Herrscherin der Tiefe, Thuolla, verkörperten Gut und Böse. Aus ihrer Vereinigung entstanden zwei Kinder. Wo die Kraft Dhasors überwog, wurde Allesandra, die Göttin der Liebe; wo Thuollas Kraft überwog, ward Mamertus, der Herr des Krieges. Von diesen vier Göttern stammt, sei es gezeugt oder geschaffen, die gesamte Familie der hellen und der finsteren Götter ab, und sie alle sind vom gleichen Rang. Und die guten Götter, die den Weltenvater ehren, herrschen im OLYMPOS, die bösen Götter aber, die Thuolla anbeten, herrschen im ORTHOS. Dies sind Paläste aus Regenbogenkristallen, von denen der OLYMPOS in den Bergen des Landes Rhonacon liegt und der ORTHOS in den Tiefen der Felsen von Grex. Weil sie jedoch alle gleichen Ranges waren und deshalb niemand über dem anderen stehen darf, so baten sie Götter aus anderen Welten, zu ihnen zu kommen und rechtschaffen und gewissenhaft über sie zu gebieten. Aus der Dunkelheit kam Abbadon, aus der Lichtwelt Zeus. Jener brachte die Sternensteine mit, die seither den Göttern des OLYMPOS wie des ORTHOS sowie ihren Priestern Macht über die Sterblichen gewähren. Seit jeher aber kämpfen OLYMPOS und ORTHOS um die Macht über die Sterblichen und die Straße der Götter. Eines Tages jedoch waren sie der endlosen Kämpfe müde. Und so beschlossen die Götter des OLYMPOS, einen Stellvertreter zu schaffen, der den Kampf für sie beenden und die Götter des ORTHOS besiegen sollte. In einer finsteren Gewitternacht zeugten ein
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