0648 - Der Tod, der Ninja und ich
Von ihm stand ebenfalls so gut wie nichts, obwohl noch einige Flügel von der Zerstörung verschont geblieben waren.
Zudem hatte das Gemälde eine gewisse Tiefe. Das heißt, ich konnte auch die Wege sehen, die von Westen her aus den engen Tälern herausführten in die neue Weite hinein und damit auch die Felder berührten, die zum Kloster gehörten.
Man hatte auch sie nicht in Ruhe gelassen. Sie wirkten, als wären gewaltige Sensen über sie hinweggefahren. Der Boden war aufgerissen, tiefe Spuren durchzogen ihn, und mir kam der Vergleich mit einem umgepflügten Friedhof in den Sinn.
Doch wo befanden sich die Leichen? Yakup hatte nicht allein gelebt. Er war von Freunden umgeben gewesen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Shimada diese am Leben gelassen hatte. Oder waren sie zu Zombies geworden?
Das lag eigentlich auf der Hand, doch auf dem Bild entdeckte ich nichts davon.
Natürlich beschäftigten sich meine Gedanken auch mit Suko und Shao, die in das Kloster gefahren waren. Wenn dieses Bild von einer magischen Aura umgeben wurde und damit auch ein Tor in die andere Dimension darstellte, hätte es mich nicht gewundert, wenn ich Suko und Shao in dem Gemälde entdeckt hätte.
Doch Bewegungen sah ich dort nicht. Es wirkte ruhig, düster, unheimlich, fast abstoßend und warnend auf den Betrachter, damit der nicht in Versuchung geriet, auch nur einen Fuß auf dieses Gelände zu setzen. Außer mir war niemand im Raum. So hinderte mich keiner daran, an das Bild heranzutreten.
Einen Schritt davor blieb ich stehen, streckte den Arm aus und strich mit den Fingerkuppen über eine Stelle am Boden. Der normale Widerstand blieb, das Bild gab nicht nach, es öffnete sich nicht, um mich zu verschlingen. Es kamen auch keine neuen Motive hinzu, die sich bewegt hätten.
Es blieb so.
Weshalb hatte man es gemalt? Und wer war der Künstler gewesen. Vielleicht dieser Lamar?
Hinter mir erklang das Räuspern!
Ein Geräusch, das mich blitzschnell reagieren ließ. Ich trat einen Schritt zur Seite, bevor ich mich umdrehte und mit der Waffe auf den Eingang zielte.
»Warum so hektisch, Mr. Sinclair?« Der dort stehende kleine Mann lächelte hölzern. Er hatte seine Arme vom Körper gespreizt, eine Geste der guten Absicht.
Ich ließ den rechten Arm sinken, steckte die Waffe jedoch nicht ein. Allerdings hörte ich seinen Atem. Dieser Mann zählte nicht zu den Zombies.
»Soto Lamar?«, fragte ich.
»Das bin ich.«
Ich nickte andeutungsweise. »Dann schätze ich, sind Sir mir einige Erklärungen schuldig.«
»Wegen des Bildes vielleicht?«
»Nicht nur deshalb. Ich gebe zu, dass ich Sie als einen ungewöhnlichen Menschen einschätze. Nicht jeder beschäftigt eine lebende Leiche als Sekretärin.«
Da lachte er und kam endlich auf mich zu. Er hatte einen etwas steifen Gang, der aber zu ihm passte. Der Körper sah in den Schultern durch die Polster breiter aus, als er tatsächlich war. Lamar trug das Jackett offen, der Stoff der dunklen Hose schlenkerte um seine Beine. Die Absätze hinterließen Echos auf dem Boden.
Auf der hinteren Kopfhälfte wuchs das schon grau gewordene Haar in wirren Locken. In Lamars Gesicht vereinigten sich europäische und asiatische Züge. Auf den Wangen schimmerten die Bartschatten ebenso dunkel wie die Pupillen.
Er kam zum Thema. »Das Bild ist einfach wunderbar, finden Sie nicht auch, Mr. Sinclair? Ein Kunstwerk.«
»So etwas ist immer Ansichtssache.«
»Für mich ist es großartig.«
»Weil es eine Bedeutung hat, nehme ich an.«
»Richtig, Mr. Sinclair. Es hat eine Bedeutung.«
»Darf ich dann fragen, in welch einer Beziehung Sie zu den schwarzmagischen Kräften stehen, die es zweifelsohne hier gibt?«
Er hob die Schultern und schaute weiterhin auf das Bild. »Wissen Sie, Mr. Sinclair, jeder Mensch ist etwas Besonderes. Jeder Mensch ist ein Individuum, aber es gibt nun einmal Situationen, wo er sich unterordnen muss, wenn er auch weiterhin existieren will.«
»Dann haben Sie sich unterordnen müssen, Mr. Lamar?«
»Ja, das habe ich. Ich erkannte, dass manche Kräfte einfach uns Menschen über sind. Das wissen Sie bestimmt auch, Mr. Sinclair.«
»Ich kann es nicht leugnen.«
»Schön. Und so habe ich gehorcht. Ich habe getan, was man von mir verlangte.«
»Unter anderem exportierten Sie einen Zombie.«
Soto Lamar hob die Augenbrauen. »Es war ein Ninja. Ich würde ihn nicht als einen hirnlosen Zombie bezeichnen.«
»Er wollte töten. Nichts unterschied ihn…«
»Sind die Menschen nicht
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