0648 - Die Stunde des Ghouls
weshalb der Wirt sie beide nicht zusammen in einem Zimmer schlafen lassen wollte. Sein Kompromißvorschlag war, daß Nicole eines der beiden Zimmer bekam, und die drei Männer das andere…
Schließlich kapitulierte Zamorra. Frühmittelalterliche Moralvorstellungen waren in einem hochzivilisierten Lande wie Mexiko wohl noch nicht aus den Köpfen der Dorfbevölkerung verschwunden.
Unterdessen hatte Nicole sich den Friedhof angesehen.
»Gräber sind eingestürzt und zerwühlt, Grabsteine gekippt«, berichtete sie, als sie zurückkam. »Aber Spuren werden wir kaum noch finden, da man bereits alles wieder herrichtet und damit fast fertig ist.« Dann erwähnte sie den nächtlichen Überfall, der bei der Polizei aktenkundig sei.
Der Polizeiposten erwies sich als ein kleiner Zweimannbetrieb; die beiden Beamten teilten sich den Dienst in Frühschicht, Spätschicht und Freizeit. Was bedeutete, daß mindestens ein Drittel des Tages ohne Polizeihoheit auskommen mußte.
Der Mann, mit dem sie es zu tun bekamen, war seinen Abzeichen nach immerhin im Rang eines Leutnants. Daß ein Mann dieses Ranges in einem so kleinen Nest Dienst machte, deutete auf eine Strafversetzung hin.
Immerhin zeigte Felipe Cordobez sich von der heiteren Seite.
»Ach, die Sache von heute nacht…« Er winkte ab. »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Sind Sie von der Presse? Dann waren es natürlich Ghouls, oder wie diese Dinger heißen.«
»Ich bin Parapsychologe«, erklärte Zamorra.
»Ach, einer von diesen Leuten, die das ernst nehmen?« Cordobez zuckte mit den Schultern. »Ihr Problem, Señor. Touristen wären uns hier lieber. Dann kämen endlich mal ein paar Pesos in die Kassen. Wissen Sie, was ich glaube? Da haben ein paar junge Leute ein Mordsspektakel inszeniert, die Presse dazu eingeladen, damit wir endlich mit unserem kleinen Ort weltbekannt werden.«
»Sie meinen den Friedhof?«
»Natürlich. Wenn über Satansmessen und ähnlichen Unsinn berichtet wird, dann horchen die Leute doch auf. Ist eine geniale Idee, finden Sie nicht?«
»Und die Sache heute nacht?«
»Da wollte sich jemand wichtig machen. Aus dem Nachbardorf. Ein gottverlassenes Nest mit vier Häusern und fünf Spitzbuben darin. Viel Arbeit machen uns die Leute nicht. Die einzigen wirklich schweren Verbrechen der letzten fünf Jahre waren der Diebstahl eines Huhnes und ein als Unfall getarnter Mord. Beiden Tätern konnten wir aber nichts nachweisen. Ist so was wie eine ungelöste X-Akte.«
Er grinste und deutete auf das alte Schwarzweiß-Fernsehgerät, das einen bevorzugten Platz in seinem Büro einnahm. Das Büro selbst war ein Zimmer in seiner Wohnung.
»Wie bei diesem Mulder vom FBI im Fernsehen, nicht wahr?«
Zamorra und Nicole gingen nicht darauf ein. »Wer ist denn überhaupt überfallen worden?«
»Das darf ich Ihnen nicht sagen.«
»Wegen laufender Ermittlungen?« fragte Nicole todernst.
»Datenschutz«, erklärte der Polizeileutnant. »Ich möchte nicht, daß plötzlich die wildesten Gerüchte kursieren.«
»Wir wollen ja auch keine Gerüchte in die Welt setzen«, sagte Zamorra. »Wir wollen…«
Nicole erhob sich und ging zu Cordobez hinüber. »Teniente«, bat sie. »Darf ich Sie einen kurzen Moment unter vier Augen sprechen?«
Der Leutnant sah zwischen ihr und Zamorra hin und her. »Ja, äh, wenn Sie meinen…«
»Ich gehe so lange vor die Tür«, versprach Zamorra, um diese Tür nicht ganz zu schließen und draußen zu lauschen. Er hörte:
»Verstehen Sie, Teniente Cordobez, es geht um mehr, als Sie sich vorstellen können. Mein Kollege sagte, wir seien Parapsychologen. Das stimmt zwar im Prinzip, ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Leider darf ich Ihnen nicht verraten, welcher Behörde wir angehören, das ist streng geheim, aber ich muß darauf bestehen, daß Sie mit uns kooperieren und Akteneinsicht gewähren.«
»Sie sind aber Ausländer«, ächzte Cordobez.
»Wir sind eine international operierende Agency«, sagte Nicole. »Es geht um die nationale Sicherheit, verstehen Sie?«
»Americanos ? CIA?«
Nicole lachte leise. »Doch nicht so ein Verein von Stümpern. ›Central Intelligence Agency‹ - ein Widerspruch in sich. Wir sind eine andere Gruppe. Aber das darf ich Ihnen nicht sagen. Ich darf Ihnen nicht einmal einen Dienstausweis zeigen.«
»Hm«, machte Cordobez. »Wenn das so ist… bitte.«
Zamorra trat wieder ein. Er hatte Mühe, ernst zu bleiben. Er konnte sich nur schwer vorstellen, daß Cordobez diesen hanebüchenen
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