065 - Überfallkommando
mehr an dich selbst zu denken«, sagte Mark barsch. »Hast du dir schon einmal vorgestellt, wie die letzten vierundzwanzig Stunden in der Zelle eines zum Tode Verurteilten aussehen? Wenn sie den Aussagen des alten Li Glauben schenken und sie voll bewerten, dann kommen wir beide an den Galgen, du und ich, Tiser. Sie könnten uns aber nur einmal henken, selbst wenn wir alle Menschen im Lande umbrächten.« »Du willst sie doch nicht ermorden?« schrie Tiser. »Mark, das lasse ich nicht zu ...«
McGill schloß ihm mit seiner großen Hand den Mund und drückte ihn wieder in seinen Stuhl.
»Bleib ruhig sitzen, oder ich nehme Mr. Steen eine Arbeit ab«, zischte er. »Warum fürchtest du dich denn so, du Feigling?«
Es dauerte lange, bis Tiser wieder sprechen konnte. Es klopfte an die Tür. Mark riß sie auf und sah Ann vor sich.
»Wie sind Sie denn ins Haus gekommen?« fragte er schnell.
»Die Tür stand offen.«
Mark eilte an ihr vorbei. Der Portier war gegangen. Er wußte ja, daß man ihn entlassen wollte, und hatte deshalb seine Stellung selbst aufgegeben. Allerhand für ihn wertvolle Sachen hatte er mitgenommen. Mark warf die Haustür krachend zu und kam in das Zimmer zurück.
»Wo ist Mr. Bradley?« fragte Ann.
»Er ist eben hinausgegangen, in einer Minute wird er zurück sein. Er muß die Tür offengelassen haben. Setzen Sie sich, Ann. Das ist doch ein Märchen, daß Sie Koks nach London mitgebracht haben?«
Eine Weile saß sie mit gesenkten Blicken da, aber plötzlich schaute sie ihm voll ins Gesicht.
»Nein - ich habe Kokain zurückgebracht. Ich wollte Gewißheit haben. Sie haben mich die ganze Zeit angelogen, Mark. Es war immer Kokain, was ich zu Ihren Leuten brachte. Mr. Bradley hatte vollkommen recht.«
»So? Sehen Sie einmal an!« spottete er. »Hat dieser Musterbeamte immer recht? Sie haben mich in eine sehr schlimme Situation gebracht, Ann. Jetzt müssen Sie sehen, daß ich wieder herauskomme. Bradley hat einen Vorrat von dem Stoff hier gefunden und möchte, daß Sie die Ware mit Ihrer Probe identifizieren.«
Sie sah ihn groß an.
»Wie kann ich das tun? Ich habe Kokain so selten gesehen.«
Sie nahm keine Notiz von Tiser, der zusammengekauert in seinem Stuhl saß. Sein Gesicht sah aschfahl aus, und seine großen, langen Finger waren ineinander verkrampft.
»Wenn Sie die Ware sehen wollen, so können Sie das jetzt tun«, sagte Mark. »Es sind ungefähr fünfzig kleine Packungen.«
Er öffnete die Tür und winkte ihr, ihm zu folgen. Ohne zu zögern, stieg sie hinter ihm die Treppe hinauf. Oben auf dem Absatz stieß er eine schwere, eichene Tür auf. Es war dunkel in dem Raum, aber er drehte außen einen Schalter an. An der Decke flammte ein Licht auf und beleuchtete einen spärlich möblierten Raum. In einer Ecke standen ein unsauberes Bett, ein zerbrochener Wasserkrug und ein Stuhl.
»Hier liegt das Zeug«, sagte Mark und zeigte hinter die Tür.
Unvorsichtigerweise ging sie hinein.
Im Nu schlug er die Tür zu. Eine Sekunde lang starrte Ann ihn verständnislos an, dann eilte sie an ihm vorbei. Aber Mark packte sie und hielt sie fest.
»Es ist vollkommen nutzlos, wenn Sie schreien. Dieser Raum ist schallsicher abgedämpft, damit die guten Leute von Hammersmith nicht gestört werden. Wir hatten schon mehrere Fälle von Delirium tremens hier - die Kerle wurden alle in dieses Zimmer gebracht -, es ist eine Art Tobzelle.«
Sie sah jetzt, daß die Wände mit Stoff bespannt und gepolstert waren. Es befand sich kein Fenster in dem Raum, an der Decke war nur ein kleiner Ventilator angebracht. Als sie die Gefahr erkannte, wurde sie bleich.
»Ihre Freunde von der Polizei werden sich anstrengen müssen, Sie zu finden«, sagte er spöttisch. »Sie haben sich recht nichtsnutzig benommen, Ann.«
»Lassen Sie mich bitte sofort hinaus.«
»Nein, Sie werden ein oder zwei Tage hierbleiben - bis ich glücklich außer Landes bin. Wenn Sie aber aufsässig werden oder uns Unannehmlichkeiten machen, haben Sie am längsten gelebt und werden von dieser Welt verschwunden sein, bevor ich Southampton erreicht habe.«
Ann Ferryman war nicht leicht zu erschrecken, aber nun schauderte sie doch. Sie wußte, daß sich Bradley nicht in dem Haus befand und daß er auch nicht hier gewesen war. Die ganze Geschichte war erfunden.
»Warum lassen Sie mich denn nicht nach Paris gehen?« Obwohl sie sich zusammennahm, zitterte ihre Stimme. »Dann wäre ich doch aus dem Weg, Mark, und Sie brauchten keine Furcht zu haben, daß ich
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