0651 - Die Rache der Wölfin
glitzernde Chromfront bedeckte die Kühlerschnauze. Darüber schimmert der Lack, als wäre er erst vor wenigen Minuten frisch poliert worden.
Die Frontscheibe zeigte eine dunkle Tönung. Schwach nur zeichnete sich dahinter die Gestalt des Fahrers ab.
Dann war der Wagen da, aber fuhr nicht vorbei, denn der Fahrer bremste ihn sanft ab.
Gleichzeitig glitt eine der Fondscheiben in die Tiefe. Sie war so dunkel getönt, dass Johnny und Karen keinen Blick in den Wagen hätten werfen können.
Jetzt sah der Junge etwas.
Über dem Rand zeichnete sich das Frauengesicht ab. Sehr bleich, mit tief in den Höhlen liegenden Augen und einem Mund, der zwar lächeln sollte, aber verzerrt wirkte.
Johnny glaubte, sich in einem Traum zu befinden. Das Gesicht kannte er und er wollte auch den Namen schreien, doch seine Kehle saß zu. Dafür hörte er Nadines Stimme.
»Bald hole ich dich zu mir, Johnny!«
Der Junge sprang zurück. »Nein!«, schrie er dabei, gab nicht Acht und stolperte über sein Rad, das zusammen mit ihm auf den Gehsteig prallte. Er stieß sich den rechten Ellbogen und schrammte sich die dünne Haut über dem Knochen auf.
»Johnny, was ist denn? Was ist denn?«, hörte er die hektische Stimme des Mädchens.
Schwungvoll setzte er sich wieder hin, wollte sich den Wagen ansehen, aber der war verschwunden.
Sein Fahrer musste ihn rasant beschleunigt haben.
Johnny sagte nichts. Er war nur schrecklich bleich geworden, was auch dem Mädchen auffiel.
»Ist dir übel?«
»Nein, nein…«
»Was dann?«
Johnny atmete tief durch, wischte über seine Stirn und murmelte: »Ich habe wohl einen Traum erlebt.«
»Wieso?«
Er saß noch immer und schaute zu Karen hoch. »Das - das mit dem Wagen, Karen.«
»Ha, der war echt. Du - du warst doch hin und weg. Hast nur gestaunt.«
»Was passierte mit dem hinteren Fenster?«
»Es fuhr nach unten.«
»Das hast du gesehen?«
Karen schüttelte den Kopf. Ihr Gesicht nahm einen trotzigen Ausdruck an. »Glaubst du denn, dass ich blind bin?«
»Nein, nein, das nicht. Mir geht es um die Frau, die du ja auch gesehen hast. Wie sah sie aus?«
»Weiß nicht.« Karen hob die Schultern.
»Hast du denn gehört, was sie zu mir gesagt hat?«
Das Mädchen krauste die Nase und verengte dabei die Augen. »Hat sie überhaupt was zu dir gesagt?«
Johnny hob sein Fahrrad auf - es war ein Mountain Bike - und winkte ab. »Hast du überhaupt Ohren?«
»Nicht so große wie du!« Sie schüttelte den Kopf und winkte gleichzeitig ab. »Was ist überhaupt in dich gefahren? Du machst hier ein Theater, über das ich nicht mehr lachen kann. Hat dich der komische Wagen oder die Frau so durcheinandergebracht?«
»Beides.«
»Verstehe ich nicht.«
»Ich kannte die Frau.«
»Ach, so ist das. Na und?«
Johnny wollte etwas sagen, schluckte die Worte aber und winkte ab. »Nichts, Karen, gar nichts. Vergiss es.«
»Sie war rothaarig oder hatte braune Haare. Vielleicht rötlich braune. Ihr Gesicht habe ich nicht genau gesehen und ob sie mit dir gesprochen hat oder nicht, das konnte ich nicht hören. Mehr weiß ich auch nicht, Johnny.«
»Okay, ich muss fahren.« Er hatte es plötzlich eilig. Da die Kreuzung momentan frei war, schob er sein Bike schnell darüber hinweg. Karen hatte Mühe, ihm zu folgen.
»He!«, rief sie, als Johnny an der Einmündung des schmalen Weges stand. »Was ist denn los mit dir? Du hast es plötzlich so eilig. Willst du fliegen?«
»Ich muss mich sputen. Wir sehen uns dann morgen oder so. Tut mir Leid, Karen.«
»Ja, mir auch!«, rief sie ihm wütend nach. »Und ob ich morgen überhaupt komme, weiß ich noch nicht.«
Das hörte Johnny schon nicht mehr, denn er war wie ein Weltmeister losgefahren…
***
»Mein Gott«, sagte Sheila mit stockender Stimme und umarmte ihren Sohn immer wieder. »Da hast du aber Glück gehabt.«
Johnny saß wie ein armer Sünder zwischen seinen Eltern. Er wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Natürlich war er so schnell wie möglich nach Hause gefahren und hatte seinen Eltern alles berichtet.
Sehr genau hatten sie zugehört und ihren Sohn nicht mit einer Frage unterbrochen, obwohl sie ihnen auf der Zunge brannten.
Bill stand als Erster auf. Er holte aus der Küche Wasser. Dort war es kühler und Bill merkte, wie sehr seine Hände zitterten, als er die Gläser auf das Tablett stellte.
Sie klingelten gegeneinander, als er mit ihnen und den beiden Flaschen zurückkehrte.
»Dad, bitte, was ist denn mit Nadine?«
Bill räusperte sich. »Wir
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