0651 - Die Rache der Wölfin
ihre Haare endlich trocken geworden.
Noch unter Wasser ließ Johnny sie los, schwamm schnell davon und kletterte an einer anderen Stelle aus dem Bassin. Er lief zu den Freunden zurück, die noch immer lachten.
»Will jemand von euch auch reingeworfen werden?«, fragte Johnny, der nach dem Handtuch griff.
»Kein Bedarf.«
Karen kam langsam näher, das Gesicht verzogen, als würde sie auf einer Zitronenscheibe kauen.
»Das gibt Rache, Johnny!«, schwor sie ihm. »Du hast mich nicht umsonst…«
»Moment mal, Karen. Wer hat denn angefangen?«
»Das war nur ein Spaß.«
»Bei mir auch.«
»Ich habe keine Lust mehr.« Karen griff nach ihrer Tasche und drückte mit der anderen Hand die Haarmähne zusammen, um sie auszuwringen. »Ich verschwinde.«
»Gut, dann gehe ich mit.«
»Du, Johnny?«
»Wir haben fast den gleichen Weg…« Karen, blond sommersprossig und durch die Strahlen der Sonne gerötet, rief: »Ich bin mit dem Rad da.«
»Ich auch.«
»Dann kannst du ja auf mich warten. Ich warte nicht auf dich, klar?«
»Brauchst du auch nicht.«
Sie verschwand und Johnny ging ebenfalls. Die anderen wollten noch bleiben.
Es ging Johnny nicht so sehr um Karen, er verspürte Hunger und seine Mutter hatte ihm versprochen, noch ein großes Stück Pizza aufzubewahren. Eine ganze Pizza schafften seine Eltern kaum.
In einer der Holzkabinen zog sich Johnny um, nachdem er noch kurz geduscht hatte.
Mit bunter Turnhose, T-Shirt und Sandalen bekleidet wartete er dort, wo die Räder unter den Bäumen abgestellt waren. Er wusste nicht genau, welches Karen fuhr, aber da sah er sie kommen, als er bereits sein Rad hielt.
»Bist aber spät dran.«
Sie streckte ihm nur die Zunge heraus und schwang sich in den Sattel. Karen war ganz in Weiß gekleidet. Wie Johnny, so trug auch sie eine kurze Hose.
Sehr schnell hatte der Junge sie eingeholt. »Gehen wir noch ein richtiges Eis essen?«
»Wo denn?«
»Im Park.«
»Ja, okay.«
Der Park lag nicht weit vom Schwimmbad entfernt. Er grenzte mit seinem Gelände an das der Badeanstalt.
Im und vor dem bunt dekorierten Eissalon waren sämtliche Stühle und Tische besetzt, so blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihr Eis wieder in die Hand zu nehmen.
»Das ist aber besser als das in der Schwimmbadbude.«
Johnny nickte. »Habe ich gewusst.«
»Hast du nicht!«
»Doch, ich bin Experte.«
»Dann sage mir, wo es das beste Eis in ganz London gibt.«
»Ha«, sagte Johnny, »da gibt es viele Läden. Mario in Belgravia hat ein tolles Eis, oder…«
»Hör auf, ich glaube dir nicht.«
»Wir können morgen mit der U-Bahn hinfahren. Da wirst du dich echt wundern.«
»Morgen muss ich mit meinen Eltern weg. Wir fahren noch für einige Tage aufs Land zu meiner Tante.«
»Wohin denn?«
»In die Gegend von Canterbury.«
»Ach so.«
An einer Kreuzung waren sie stehen geblieben. Johnny ärgerte sich, dass Karen weg musste. Obwohl sich die beiden oft genug neckten, mochten sie sich trotzdem leiden.
Jenseits der Kreuzung konnten sie in einen schmalen Weg einbiegen, der zwischen den Gärten herführte und für Autos unpassierbar war. Nur Fußgänger und Radfahrer durften ihn benutzen. Er war eine gute Abkürzung, durch hohe Bäume und ebenfalls hoch wachsende Büsche geschützt und zudem schattig liegend.
Sie schluckten die letzten Eisreste und wollten ihre Räder über die Kreuzung schieben.
Johnny schaute nach links. Gefiltert durch die dunklen Kronen der Bäume bildeten die Sonnenstrahlen auf dem Straßenbelag einen löchrigen Teppich, in den sich etwas Dunkles hineinschob.
Ein sehr breiter, amerikanischer Wagen, ein Spritfresser, dessen Automarke selbst Johnny nicht erkannte. Der Wagen glitt lautlos näher. Er kam dem Jungen vor wie ein rollendes Ungeheuer, das seinen Atem anhielt.
»Was ist das denn für ein Ding?«, fragte Karen.
»Keine Ahnung. Kommt aus den Staaten.«
Sie stieß ihn an. »Der sieht aus wie ein rollender Sarg. Schau mal, jetzt bremst es sogar ab.«
»Ja«, murmelte der Junge, »das sehe ich.« Er hatte plötzlich ein ungutes Gefühl, seine Sinne meldeten Alarm. Johnny Conolly gehörte zu den Jungen, die in ihrem Leben schon einiges durchgemacht hatten und nicht so fröhlich und unbeschwert aufgewachsen waren wie die meisten Kinder in seinem Alter.
»Ob der Fahrer was von uns will?«, flüsterte Karen.
Johnny gab keine akustische Antwort. Er ging lieber auf Nummer sicher und drückte Karen weg von der Bordsteinkante. Den gleichen Rückzug trat er an.
Eine
Weitere Kostenlose Bücher