0652 - Der Bogie-Mann
und käsig mein Gesicht aussah. Ich fühlte mich zum Wegwerfen, eben der typische Versager.
Die Geräusche zerrten an meinen Nerven. Ich wollte sie nicht mehr hören und stellte die Mechanik ab.
Still wurde es, furchtbar still. Die Schritte waren gut zu hören. Ich drehte mich um und sah den Schatten des Mädchens in meiner Nähe. Tippy wollte weitergehen. Ich schüttelte den Kopf und befahl ihr, stehen zu bleiben.
»Es ist Schlimmes geschehen, nicht?«
Ich nickte nur. Am Rand des Lochs war ich stehen geblieben. Der feine Strahl leuchtete in die Tiefe.
Dort schimmerte eine große Wasserpfütze. Die Distanz zwischen dem Mühlenboden und dem Wasser war groß genug, dass sich ein Mensch dort verstecken konnte.
Tippy Drake hatte den Kopf gedreht, um nicht in den Strahl hineinschauen zu müssen. »Wo ist er?«
»Tot«, erwiderte ich rau.
»Ich hörte die Geräusche der Mühlräder.«
»Ja…«
Tippy holte tief Luft. »Ich wusste es«, flüsterte sie, »verdammt noch mal, ich habe es gewusst.«
»Woher?«
Sie hob die Schultern, wollte gehen. Ich hielt sie fest und fragte noch einmal: »Woher?«
»Es war ein Gefühl.«
»Hattest du das schon länger?«
»Kann sein.«
»Und weshalb hast du mir davon nichts gesagt, Tippy?«
»Kann man etwas auf die Gefühle geben, John?«
»Manchmal schon.«
Sie nickte, drehte sich um und ging. Diesmal hielt ich sie nicht auf. Ich schaute mich in der Mühle um, weil ich Spuren finden wollte, die auf den Bogie-Mann hindeuteten.
Zu sehen war nichts, bis auf das Loch im Boden. Aber ich roch etwas, und dieser Gestank kam mir bekannt vor. Schon des Öfteren hatte ich den Schwefelgeruch wahrgenommen, immer in Verbindung mit Begleitumständen, die auf meinen Erzfeind, den Teufel, hinwiesen. Wo er oder seine Helfer auftraten, war oft dieser Geruch nicht weit.
Der Schweiß lag auf meinen Handflächen wie eine zweite Haut. Ich fühlte mich verflucht elend, Pudding steckte in meinen Knien, und wieder hatte sich die Schnur enger gezogen.
Der Bogie-Mann zog seine Fäden. Das war seine Nacht oder sollte es noch werden, denn die meisten Stunden lagen noch vor uns. Ich verließ die Mühle und das Haus.
Tippy fand ich dort, wo Dermotts Wagen stand. Sie lehnte an der schmutzigen Kühlerhaube, schaute zum wolkenreichen Himmel und drehte den Kopf, als sie meine Schritte hörte. »Hast du eine Zigarette, John? Die brauche ich jetzt.«
Ich gab sie ihr.
Sie rauchte hastig und saugte das Zeug tief ein, das anschließend durch ihre Nasenlöcher wieder ausströmte. »Manchmal ist das Leben richtig beschissen«, sagte sie. »Da ist es so, als würde man in einem Karussell sitzen, von dem man nicht mehr abspringen kann. Meine Schwestern und ich sind Künstlerinnen. Esther macht in Mode, Marion formt, ich male. Wir sind zu dritt und sehr sensibel.«
»Wie macht sich das bemerkbar?«
Tippy hob die Schultern. »Das ist schwer zu erklären. Wir nehmen Gefühle und bestimmte Schwingungen anders auf. Wir strahlen auch selbst welche ab, glaube ich.«
»Das ist bei jedem so.«
»Bei uns besonders. Wir wohnen auf dem Lande. Wir leben in der Ruhe und wir merken Veränderungen schnell.«
»Hängt das auch mit dem Bogie-Mann zusammen?«, erkundigte ich mich vorsichtig.
»Manchmal.«
»Das verstehe ich nicht.«
Sie trat die Zigarette aus. »Ich kann es nicht erklären, John. Lass uns fahren.«
Bevor ich in den Jeep stieg, warf ich dem Mädchen noch einen langen, fragenden Blick zu, den es aber nicht bemerkte oder nicht bemerken wollte.
Ich musste den Wagen kurzschließen, um ihn starten zu können. Den Schlüssel hatte Dermott bei sich getragen. Tippy saß regungslos neben mir, die Hände zwischen die Knie gepresst, und starrte durch die verschmutze Scheibe ins Leere.
»Beschreibst du mir den Weg?«
Sie nickte zweimal. »Fahr einfach geradeaus. Wir kommen schon zum Ziel, keine Sorge.«
»Was ist dann?«, fragte ich.
»Lass doch das Schicksal entscheiden«, erwiderte sie rätselhaft…
***
Rotblondes, schulterlanges Haar, locker über die Stirn aufgesteckt. Graugrün blickten die Augen.
Dazu passte der etwas blass wirkende Teint, ein Mund, dessen Lippen einen weichen Schwung zeigten, und eine Haut, die sehr zerbrechlich wirkte, sodass bei Jessica Long der Vergleich mit Frauen zutraf, die im letzten Jahrhundert gelebt und selten die Sonne gesehen hatten.
Möglicherweise wäre Jessica zur Biedermeierzeit auch besser aufgehoben gewesen. Doch sie lebte ein Jahrhundert später, in einer von der
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