0656 - Der Blutpriester
Mansoni Vollmacht besaß, immer noch jeden Monat die karge Witwenrente verbucht wurde. Aber die war dermaßen karg, daß sie nicht einmal reichte, Sohnemanns Zigaretten- und Grappakonsum zu finanzieren.
Sohnemann selbst hatte dabei nicht mal ein schlechtes Gewissen. Zahlte er doch seiner Ansicht nach mehr als genug an Steuern für Alkohol und Tabak, um das wieder auszugleichen, und überhaupt kassierte Rabenvater Staat doch schon viel zu viel Geld von der schwer arbeitenden Bevölkerung, ohne dafür auch nur den Hauch einer Gegenleistung zu erbringen - wenn man wie Mansoni die Politikergehälter und den Wehr-Etat mal nicht als Gegenleistung zählte.
Der Kaffee war fertig. Mansoni gönnte sich ein Täßchen und würzte das im Verhältnis 1:1 mit Cognac, weil er von Milch noch nie viel gehalten hatte. Die konnte er doch als erwachsener Mann den Kindern dieser Welt nicht einfach wegtrinken.
Aber auch nach dem zweiten Kafnac - oder Cogfee? - sah sein Weltbild noch nicht besser aus. Cognac pur zu trinken hatte er noch nie gemocht und griff statt dessen lieber auf seinen Grappa zurück, um bedauernd festzustellen, daß die Flasche nun ernstlich leer war, aber der Schnaps brachte ihm die Erinnerung zurück.
Er hatte gestern einen Opferdolch in einen menschlichen Körper gestoßen, und der Priester hatte das Blut getrunken!
Er hatte danach Besuch gehabt -erst von einem anderen Sektenangehörigen, der nur wenig länger als er selbst zum Feuer des Heiligen Blutes gehörte, und danach von einem Mann in Schwarz, dessen Augen seltsam kalt glühten. Der eine hatte ihm Hilfe angeboten, der andere nur Fragen gestellt, aber an den Inhalt dieser Fragen konnte Mansoni sich beim besten Willen nicht mehr erinnern. Nur daran, daß in ihm ein Verdacht geschürt worden war.
Verdacht?
Weil kein Grappa mehr da war, mußte Mansoni den Cognac mit einer weiteren halben Tasse Kaffee verdünnen. Das brachte ihm den Rest der Erinnerung an die vergangene Nacht zurück.
Der Blonde, dieser Teodore Eternale, war ein Verräter?
Er setzte sich über Vorschriften der Sekte hinweg?
Und er war noch gar nicht so lange Mitglied, wie er behauptet hatte?
Vor Mansoni war ein Schleier auseinandergerissen worden, und plötzlich konnte er sich daran erinnern, diesen Eternale bei weitem nicht so oft gesehen zu haben, wie er bisher geglaubt hatte! Der war doch nicht vor Mansoni Mitglied geworden, sondern erst danach aufgetaucht…
Aber wieso gingen dann alle anderen davon aus, daß er schon seit ein paar Wochen dabei war?
Da stimmte doch etwas nicht!
Jetzt wußte Mansoni, was er zu tun hatte.
Nicht zur Beichte gehen oder zur Polizei, weil er getötet hatte.
Sondern zum Priester, um dem zu stecken, was es mit diesem Eternale auf sich hatte!
Das brachte ihn in der Hierarchie sicher gleich ein Stück weiter nach oben und dem versprochenen Reichtum entgegen.
Daß sein zweiter Besucher, der Mann in Schwarz, mit Hilfe seines Dhyarra-Splitters bei seiner Befragung einen Hypno-Block durchbrechen konnte, den Ted Ewigk in Mansoni wie in jedem anderen ihm bekannten Sektenmitglied mittels Dhyarra-Kristall verankert hatte, ahnte er nicht einmal!
***
Eva, das blonde Para-Mädchen, gesellte sich zu Zamorra und Nicole an den Frühstückstisch, und wieder wurde den beiden bei ihrem Anblick bewußt, um wieviel jünger Eva wirkte als damals bei ihrer allerersten Begegnung.
Um Jahre jünger!
An jene erste Begegnung konnte sie sich nicht mehr erinnern. Auch nicht an ihr zweites Auftauchen aus dem Nichts an der italienischen Küste, wenige Wochen nachdem sie in Lyon ermordet worden war.
Und jetzt war sie zum dritten Mal aufgetaucht, diesmal in Moskau. [5] Zamorra und Nicole hatten sie mit hierher zurückgebracht, zum Château Montagne. Immerhin hatte Eva hier noch ihr Zimmer, das sie vor einigen Wochen verlassen hatte, um so spurlos unterzutauchen, wie sie gekommen war.
An das Zimmer und dessen Einrichtung kennte sie sich auch nicht erinnern. Château Montagne war für sie scheinbar eine völlig neue Erfahrung. Inzwischen hatte Zamorra es aufgegeben, über Hypnose oder eine »Rückführung« Evas Erinnerungsvermögen auf die Sprünge zu helfen, weil er einfach nicht an diese Erinnerungen herankam. Sie schienen überhaupt nicht zu existieren.
Und doch tauchten manchmal Fragmente in Evas Gedächtnis auf, kurze, blitzartig erscheinende Bilder, von denen sie glaubte, sie zu kennen, aber sobald sie sie festhalten und einordnen wollte, waren sie wieder fort.
Diese
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