0660 - Die Totenstadt
was die Blutsauger angeht. Man glaubt zwar, dass sie existieren, doch man will nicht darüber reden, was ich wiederum verständlich finde. Die Angst ist groß.«
»Trotzdem möchte ich aufbrechen.«
»Gut, Mr. Sinclair. Ich beschreibe Ihnen den Weg. Sie können nicht von mir verlangen, dass ich mitfahre. Sie werden schon bald an ein umzäuntes Gelände kommen, das allerdings bereits an seinem Rand überwuchert wurde, wie man mir sagte. Dennoch müssen Sie den Zaun überwinden.«
Aus seiner Tasche holte er Papier und einen Kugelschreiber. Es gab nur eine Straße, die zum Ziel führte. Er malte sie auf und bezeichnete sie als eine lehmige Piste.
Das Ende der Straße markierte er mit einem großen Kreuz. »Genau hier beginnt die Totenstadt.«
Suko steckte den Zettel ein. »Den Punkt werden wir wohl finden. Sie warten hier auf uns?«
»Ja.« Er schaute uns nicht in die Augen. Wahrscheinlich war es das schlechte Gewissen.
Ich hielt ihm die offene Handfläche entgegen, in die er den Wagenschlüssel legte.
»Gut, dann bis später.«
Clayton Simane stand auf. Er wollte uns die Hand geben, konnte sich nicht überwinden. Wie ein Denkmal stand er da und schaute uns nach, wie wir die Teestube verließen…
***
Wir hatten auch den Rest der Strecke hinter uns gebracht, und die Sonne war inzwischen tiefer gesunken. Suko und ich gingen zu Fuß weiter, weil wir einfach mit dem Wagen nicht durch das dichte Gewächs kamen, bei dem die breiten Blätter so aussahen, als wären sie mit Fett eingeschmiert worden.
Suko bahnte sich vor mir den Weg. Er federte plötzlich zurück, drehte sich um, sodass ich in sein schweißfeuchtes Gesicht schauen konnte, das von Insekten umtanzt wurde. Sogar diese dicken, blaugrün schimmernden Fliegen befanden sich darunter, die sonst nur auf fauligem Fleisch saßen und daran knabberten.
»Der Zaun, John!«
Ich schlug mit der Hand Mücken und Fliegen zur Seite, ging an Suko vorbei und sah das Gitter.
Damals war er elektrisch aufgeladen worden. Nach Verlassen der Stadt hatte man die Drähte einfach zerschnitten. Der Zaun aber war geblieben und auch das sich nach außen beugende Ende mit den wirren Stacheldrahtrollen. Mein Blick fiel gegen die rostigen Spitzen. Da wir kein Werkzeug besaßen, blieb uns nichts anderes übrig, als den Zaun zu überklettern, obwohl Suko nicht aufgab und verschwand. Er suchte nach irgendwelchen Lücken.
Ich wartete auf ihn in der Stille und musste mir eingestehen, dass sie mir sehr bedrückend vorkam.
Obwohl ich in der freien Natur stand, erreichte mich ein Geruch, der nicht herpasste.
Faulig, vermodert und verbrannt. Als wäre irgendwelches Fleisch im Feuer geschmort worden. So etwas zu riechen war nicht eben mein Fall, allerdings auch ein Indiz für das Vorhandensein der Totenstadt, auf die ich durch den Zaun längst einen Blick geworfen hatte.
Ein Ort des Todes, des Vergessens. Beton und Unkraut. Trümmer und dünne Rauchschwaden, aber kein Leben. Mehr eine Müllhalde, die als Altlast in der Umwelt lag.
Eine magischbiologische Seuche, davon hatte Sir James gesprochen. Hier hatten die Japaner eine schreckliche Altlast hinterlassen, als sie mit Dingen experimentierten, die ihnen über den Kopf gewachsen waren. So etwas konnte nicht gut gehen. Ich wusste nicht, wer sich für diese furchtbaren Tatsachen verantwortlich zeigte - später will es immer niemand gewesen sein -, aber ich konnte mir auch vorstellen, dass der Club der weißen Tauben wieder einmal seine Hände mit im Spiel gehabt hatte. Seine Mitglieder wollten die Ehre Japans wieder herstellen und verließen sich dabei auf verbrecherische Methoden. Beim Fall des Tengu-Phantoms hatten wir dies leider erleben müssen.
Wenn es nach ihren Maximen ging, sollte Japan wachsen und sich vermehren wie Bakterien in einer Lösung, um später die gesamte Welt zu beherrschen.
In der Industrie hatten sie es teilweise schon geschafft und den Amerikanern den Rang abgelaufen.
Das neue Zielgebiet hieß Europa. Mit ihrem Geld stiegen sie überall ein, kauften heimlich Häuser und Grundstücke, schleppten wertvolle Gemälde nach Japan und hatten somit die Scheichs aus dem Orient abgelöst.
Suko kehrte zurück. An seinem Lächeln erkannte ich, dass er Glück gehabt hatte.
»Wo?«, fragte ich nur.
Er winkte mit dem Finger. Ich folgte der Geste und ging hinter ihm her. Beide wühlten wir uns durch den dichten Bewuchs, bewegten uns parallel zum Zaun, bis wir schließlich das Loch erreichten. Man hatte das gitterähnliche
Weitere Kostenlose Bücher