0662 - Sturm auf den Todestempel
Himmel, nur an einigen Stellen durchlöchert, um schwachem Sternenlicht freie Bahn zu geben.
Wer denkt, dass ein Dschungel in der Nacht schläft, der hat sich geirrt.
Woher die zahlreichen Geräusche kamen, konnte ich nicht lokalisieren. Sie waren überall und konzentrierten sich dabei nicht, nur auf einen Laut, sondern waren sehr vielfältig. Ich dachte für einen Moment daran, dass es in Indien auch Tiger gab. Nichts gegen die Riesenkatzen, ich mochte sie.
Auf eine Begegnung jedoch konnte ich gut und gern verzichten.
Shao sprang nach mir aus dem Hubschrauber. Sie blieb vor mir stehen und hob die Schultern.
»Was hast du?«
»Auch ich bin ratlos. Ich hatte zwar Kontakt mit ihm, doch er berichtete mir nichts von seinen Plänen und Zielen.«
»Dass wir hier gelandet sind, muss einen Grund haben.«
»Damit rechne ich auch.«
»Demnach müsste er sich auch in der Nähe aufhalten. Er - er braucht ein Versteck oder einen Ort, von dem aus er agieren und reagieren kann. Mir will es nicht in den Kopf, dass er nur untätig sein will. Da müsste uns der Tamile helfen.«
»Falls dieser den Mund aufmacht.«
»Shao, es wird der Zeitpunkt kommen, wo ihm nichts anderes übrig bleibt.«
»Das hoffe ich.«
Am Ausstieg entstand eine Bewegung. Suko und der Tamile erschienen. Mein Freund hielt Hiob umfasst und schob ihn vor sich her. Die Handschelle hatte er gelöst.
Als Hiob sprang und federnd aufkam, stand ich bei ihm, um ihn in Empfang zu nehmen. »Solltest du tatsächlich an Flucht denken, so will ich dich noch einmal warnen. Wir sind besser als du, Freund, viel besser.«
Er lächelte. »Aber ihr wisst nicht Bescheid.«
»Dafür du.«
»Möglich.«
»Dann würde ich an deiner Stelle dafür sorgen, dass es uns besser geht, denn dein Schicksal ist verdammt eng mit dem unsrigen verknüpft.«
Er ballte seine Hände, bevor er voller Hass ausstieß: »Ihr habt ihn mir genommen!«
»Fragt sich nur, wo du mit ihm hin wolltest?«
»Das sage ich nicht.«
»War das der Ort?«, fragte Shao.
Der Tamile schwieg. Er senkte aber leicht den Blick. Wir konnten es als Zeichen werten, ins Schwarze getroffen zu haben.
Ich ließ nicht locker und fragte: »Hast du nicht einen Tempel erwähnt, oder sollte ich mich getäuscht haben?«
»Ich weiß es nicht.«
»Es muss hier Tempel geben«, sagte Shao. »Ich weiß, dass sich im Dschungel zahlreiche dieser Bauwerke verbergen und kann mir vorstellen, dass wir Cheng Wu dort finden.«
»Aber zunächst den Tempel.«
»Sicher.«
»Die Richtung kennst du nicht?«, fragte Suko, der in diesem Augenblick ziemlich hilflos wirkte, was er durch das Ausbreiten seiner Arme andeutete. »Wir können in jede Richtung gehen und jede kann die Falsche sein, zunächst.«
»Die Zeit haben wir nicht.«
»Richtig, John.«
»Zudem müssen wir mit den Gefahren eines nächtlichen Dschungels rechnen«, warnte Shao und bekam große Augen vor Staunen, denn es musste etwas passiert sein, das nur sie sah.
»Was hast du?«
»Suko - dreht euch mal um.«
Das taten wir, auch der Tamile machte die Bewegung mit. Und er gab Worte von sich, die sich wie ein böser Fluch anhörten.
Ich aber konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Um Sukos Lippen zuckte es ebenfalls.
Unsere Reaktion bezog sich auf einen bestimmten Vorgang, der sich vor uns ereignete.
Aus der dunklen, geheimnisvollen Tiefe des Dschungels stieg ein weißgelbes Licht hoch, das der Himmel wenig später wie ein Schwamm aufsaugte.
Uns machte das nichts, wir wussten jetzt, wo wir hin wollten. Shao sprach es aus.
»Ich schätze, wir haben die neue Heimat Cheng Wus gefunden…«
***
Vor Erreichen des Ziels haben die Götter den Schweiß gesetzt. So steht es geschrieben, so hört man es oft und so erlebten wir es in dieser schwülen Nacht.
Bei Dunkelheit einen Marsch durch den tiefen Dschungel zu beginnen, das kann nur Wahnsinnigen einfallen, und wir mussten uns einfach dazu zählen. Zudem besaßen wir keine Ausrüstung, die uns schützte. So fehlten zum Beispiel die hohen Stiefel, die uns normalerweise auf dem feuchten Untergrund gute Dienste erwiesen hätten, denn trockene Stellen entdeckten wir so gut wie nicht.
Macheten besaßen wir auch nicht. Wege waren keine vorhanden, und so schlugen wir uns mit den Händen freie Bahn durch den Wirrwarr aus Lianen, Ästen und hoch wachsenden Gräsern, Farnen und vermoderten Baumstümpfen.
Vom eigentlichen Nachthimmel bekamen wir kaum etwas zu sehen. Zu dicht war das Dach der Bäume, die den unteren Teil des
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