0662 - Sturm auf den Todestempel
seinem Schrei, den er in das Innere des Tempels schickte. Im selben Augenblick bewegte sich das Licht. Wir hatten den Eindruck, dass es zu einer Spirale wurde, die zudem noch die Kraft eines Wirbelsturms hatte.
Und der fegte über den Tamilen hinweg.
Es sah zunächst so aus, als wollte er ihn uns entgegenschleudern, doch der Wirbel hatte ihn sich nur richtig hingestellt, denn er drehte ihn auf der Stelle.
Dann griff er richtig zu.
Wir hörten Hiob noch furchtbar schreien, als er vom Boden abhob und der Gewalt mit seinen eigenen Kräften nichts entgegensetzen konnte. Sie zerrte ihn in den Tempel, wobei es uns schien, als würde er in einen Tunnel gezogen, der in die Unendlichkeit führte.
Als winzige Figur verschwand er vor unseren Augen.
Was blieb, war das Licht…
***
Suko und ich rührten uns nicht, denn mit einer derartigen Reaktion aus dem Bauwerk hervor hatten wir nicht gerechnet. Ein jeder wusste, weshalb sich Hiob so geweigert hatte.
»Ist das sein Ende?«, fragte ich leise. »Haben wir ihn in den Tod geschickt?«
»Falls er tot ist.« Suko sah die Dinge nicht so streng.
»Wo sollte er sonst sein?«
»John«, Sukos Stimme hatte einen Klang, als würde eine Mutter zu ihrem Kleinkind reden. »Du brauchst doch nur daran zu denken, dass sich hier ein transzendentales Tor befindet. Dann ist Hiob in eine andere Welt gezogen worden.«
Ich konnte Sukos Erklärung nicht unterschreiben. »Da ist mir einiges unklar. Cheng Wu habe ich so nicht eingeschätzt. Ich glaube nicht, dass er über andere Reiche geherrscht hat. Der Tempel kann ebenso gut eine Falle sein, auch für uns.«
»Das streite ich nicht einmal ab.«
»Dann ist es gut.«
Hinter dem Eingang hatte sich nichts verändert. Das Licht war geblieben, nur seine Quelle blieb uns verborgen. Es konnte aus den Wänden oder aus dem Boden strömen. Sogar die Decke ließ ich nicht außer Acht. Es war einfach da.
»Sollen wir nach einem anderen Eingang Ausschau halten?«, schlug mein Freund vor.
»Es wäre nicht das Schlechteste, aber…«
Eine Bewegung ließ mich verstummen. Innerhalb des Tempels hatten wir sie gesehen, und zwar dort, wo sich der Gang für unsere Sicht verschmälerte.
Jemand erschien, jemand kam…
Ein Mensch!
Unwillkürlich hielten wir beide den Atem an. Noch hatten wir nicht genau erkannt, wer sich da durch das Licht bewegte. Dass es ein Mensch war, davon mussten wir ausgehen.
Er schritt auf den Ausgang zu. Schlank, hoch gewachsen, dunkel, aber nicht düster.
»Das ist doch Shao!«, zischte der Inspektor. »Verdammt, John, das ist sie. Schau hin!«
Ich nickte nur. Auch ich hatte sie erkannt. Wieso und weshalb sie durch den Lichttunnel ging, konnten wir nicht wissen. Jedenfalls sah es so aus, als wollte sie den Tempel verlassen.
Der Lichttunnel war nicht sehr lang. Möglicherweise ging sie auch sehr schnell, jedenfalls nahm die Gestalt der Chinesin an Größe zu.
So harmlos dieser Vorgang nach außen hin auch wirkte, mir wollte er trotzdem nicht gefallen. Es konnte auch an Shao liegen, die ich anders ansah als sonst.
Suko fiel nichts auf, jedenfalls gab er keinen entsprechenden Kommentar ab. Deshalb fragte ich ihn:
»Ist dir an Shao nichts aufgefallen? Hast du etwas bemerkt?«
»Nein, was sollte ich?«
»Ich weiß es auch nicht genau. Sie kommt mir vor, als wäre sie es nicht selbst.«
»Du spinnst.«
»Kann - muss aber nicht sein.«
»Shao hat uns zuerst verlassen«, flüsterte er. »Ihr Ziel war der Tempel. Jetzt ist sie eingetroffen. Ich kann daran nichts Negatives oder Gefährliches entdecken.«
»Hoffentlich.«
Nach meiner Bemerkung schüttelte Suko den Kopf. Er kam damit nicht mehr zurecht.
Bei mir allerdings wollte das ungute Gefühl nicht weichen. Ich hielt meinen Blick starr auf Shao gerichtet, die sich allerdings normal bewegte und überhaupt nicht den Eindruck machte, als würde sie unter irgendeinem Druck stehen.
Aber sie verließ den Gang nicht. Dicht vor der Schwelle blieb sie stehen. Sie brauchte nur einen Schritt zu gehen, um nach draußen zu gelangen, doch ausgerechnet den ging sie nicht.
»Weshalb bleibt sie dort?«, fragte ich leise.
»Ist doch klar, John. Sie will, dass wir zu ihr kommen.« Suko konnte die Behauptung aufstellen, denn seine Partnerin hatte den rechten Arm erhoben und winkte uns zu. Dabei sahen wir das Lächeln auf ihren Lippen, das uns locken sollte.
»Willst du denn hier stehen bleiben?«
Ich hob die Schultern. »Im Prinzip nicht. Ich möchte nur gern erfahren, was Shao
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