0662 - Sturm auf den Todestempel
die Sätze so aus, dass man ihm beim besten Willen nicht glauben konnte.
Wie lang der Gang war, konnten wir nicht sehen, obwohl er von diesem geheimnisvollen Licht erhellt wurde. Ich hatte mir noch draußen Gedanken über die Quellen gemacht. Das Problem erledigte sich nun von selbst. Die Quellen befanden sich tatsächlich an den verschiedensten Stellen. Sie lauerten unter der Decke, an den Wänden, und auch der Fußboden - obwohl aus Stein - sonderte eine gewisse Helligkeit ab, die aus zahlreichen Spalten strömte, die oft nur fadenbreit waren.
Beim Gehen hatte ich den Eindruck, über und in einem seichtgelben Schein zu schweben und keinen Kontakt mehr mit dem Untergrund zu haben, obgleich ich den Widerstand spürte.
Das Licht strahlte auch an unseren Gestalten hoch und gab uns den Anschein, ebenfalls geisterhafte Wesen zu sein. Mein Kreuz hatte sich nicht »gemeldet«, demnach drohte uns keine direkte Gefahr.
Ich horchte gewissermaßen in mich hinein. So seltsam sich dieser Vergleich auch anhörte, ich konnte mich sehr wohl darauf verlassen, denn mittlerweile war ich dermaßen sensibilisiert, dass ich es verstand, auf meine innere Stimme zu achten.
Vor einer echten Gefahr wurde ich auch hier nicht gewarnt. Dafür war ich gespannt, wo der Gang enden würde und was dahinter lag.
Es war keine Täuschung, aber vor uns gab es eine Stelle, wo sich das Licht verdichtete. Das heißt, es schien dort heller, als hätte es noch mehr Kraft bekommen. Zunächst einmal ging ich davon aus, dass sich dort das Ziel befand.
Als ich schneller ging, wollte Suko eine Frage stellen. Ich winkte schon vorher ab, so blieb ihm nichts anderes übrig, als mir zu folgen. Es war nicht mehr weit, und das Licht war tatsächlich heller geworden.
Urplötzlich war der Tunnel zu Ende. Normalerweise hätte er vor einer Mauer, Tür oder Wand enden müssen, doch das geschah in diesem Fall nicht. Vor uns lag die gleiche Treppe, wie wir sie schon von außen her kannten. Ein breites, kompaktes Gebilde ohne Geländer.
Die Treppe führte in eine Tiefe, die sich unseren Blicken öffnete wie ein erleuchteter Kessel oder eine erhellte Mulde. Das war das Zentrum des Tempels.
Was wir dort sahen, hätten wir niemals vermutet. Mir stockte der Atem. Ich spürte die Kälte der zweiten Haut, als sie über meinen Körper rieselte, denn tief unter uns, genau dort, wo die Treppe auslief, befand sich ein gewaltiger Friedhof…
***
Eine Stätte des Todes. Wie gemalt und kaum zu begreifen.
Uns hatte es die Sprache verschlagen. So blieben wir stehen, um zu schauen.
Das Licht streute nicht nur über dem Boden, es fiel auch von der Decke her und aus den Wänden, sodass der unheimliche Friedhof in einem fahlen Glanz erstrahlen konnte.
Grabstätten mit Kreuzen, wie wir sie kannten, waren nicht zu sehen. Die Gräber dort unten waren nur durch einfache Steinplatten gekennzeichnet, die sich kaum vom Boden abhoben. Wäre das Licht nicht gewesen, hätten wir sie überhaupt nicht gesehen.
Nur bewegte sich dort niemand. Ich hatte gehofft, Shao oder Cheng Wu zu sehen, das jedoch war nicht der Fall. Eine nahezu bedrückende Stille lag über dem Gräberfeld innerhalb des Tempels.
»Ein Friedhof!«, flüsterte Suko und brach damit das Schweigen zwischen uns. »Wie gehabt.«
»Und doch anders.«
»Wieso?«
Ich hob die Schultern. »Genau kann ich es dir nicht erklären. Ich habe den Eindruck, als wäre nicht alles tot, was sich unter den Grabsteinen befindet.«
»Zombies?«
»Damit würde ich schon rechnen.«
Suko räusperte sich. Er schaute sich dabei um, als würden die lebenden Leichen in der Nähe lauern, doch von ihnen war nichts zu sehen, wie auch nicht von Shao.
»Allerdings rechne ich damit, dass er echt ist, Suko. Keine Imitation, kein Hologramm.«
»Wer liegt hier begraben?«, hauchte er.
»Vielleicht die Freunde und Helfer des Cheng Wu. Möglich ist alles, ich lasse nichts mehr aus. Aber wir werden es erfahren und bestimmt nicht von hier oben.«
Das war auch für Suko ein Zeichen, seinen Platz zu verlassen. Die Treppe war breit genug, um uns beide nebeneinander hergehen zu lassen. Es störten eigentlich nur die hohen Stufen. Beim Hinuntergehen mehr als vorhin beim Steigen.
Wieder dachte ich an Nadine Berger und natürlich auch an Cheng Wu. Würde ich je die Chance bekommen, ihm das Palmblatt zeigen zu können? Es klemmte zwischen zwei Kunstglashälften. Ich trug es bei mir und hatte es bisher gehütet wie meinen Augapfel.
Der Friedhof rückte näher und
Weitere Kostenlose Bücher