0663 - Das Unheil erwacht
das Blut völlig verschluckt hatte, bis auf die sanften, hellroten Streifen, die sich in dem Ei verteilten.
Jades Herz schlug schneller, als sie sich bückte und ihre Hände wieder um den ovalen Gegenstand legte. Hatte er sich wieder verändert? Das Vibrieren innerhalb des Gegenstandes pflanzte sich durch die Außenhaut fort und erwischte ihre Handflächen, auf denen ebenfalls ein dünner Schweißfilm lag. Vorsichtig hob sie den Fund an und stellte sich gleichzeitig hin.
Das Ei behielt sein Zittern bei. Gleichzeitig erlebte Jade etwas völlig Neues.
Da war eine fremde Kraft, die sich ihrer bemächtigte. Sie drang ein in ihr Gehirn, sie fing an, die Gedanken der Frau zu lenken und zu steuern.
Jade merkte, dass sie nicht mehr sie selbst war, und es machte ihr nicht einmal etwas aus.
Die Ströme in ihrem Kopf konnte sie nicht lenken. Noch bestanden sie aus einem gewissen Durcheinander, doch tief im Innern kristallisierte sich etwas hervor, das ihr sagte, nur das zu tun, was der augenblicklichen Laune entsprach.
Danach richtete Jade sich.
Schwungvoll warf sie das Ei fort. Sie schaute dem Oval nach, wie es durch die Luft torkelte, und bekam einen wahnsinnigen Schreck davor, das Falsche getan zu haben. Wenn der Gegenstand zu Boden fiel und zerbrach, musste sie sich die Schuld geben.
Er fiel auch zu Boden.
Jade bekam es mit wie in einem Zeitlupenfilm. Der Aufprall, das erste, dann das zweite Ticken, das den Schwung nicht stoppen konnte, denn der Gegenstand rollte weiter.
Er hüpfte über den Boden wie ein Ball, der immer wieder auftickte, und er hatte ein Ziel.
Aus großen Augen verfolgte Jade den Weg zur Treppe hin. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass dieses Ei es schaffte, die Treppe nach oben zu hüpfen, aber sehr schwungvoll ließ es die letzten beiden Stufen hinter sich, tickte auf die dritte und setzte den Weg nach oben fort.
Jade Prentiss überlegte. Warum nahm das Ei diesen Weg? Was konnte es dazu getrieben haben, den Keller zu verlassen?
Doch, es gab einen Grund.
Und der war schlimm, sogar sehr schlimm, denn oben in einem der Zimmer wartete ihre Mutter.
Jade erinnerte sich wieder daran, wie sie den Forstbeamten Ernest Slaine getroffen hatte.
Plötzlich stand das Bild wieder vor ihren Augen. Der Mann mit seiner Angst und wie er plötzlich im Gesicht auseinanderbrach und sein Blut vollends verlor.
Meine Güte, das war…
Sie dachte nicht mehr weiter, aber sie traute sich auch nicht, die Stufen hochzugehen.
Das Band zwischen ihr und ihrer Mutter war gerissen!
***
Es war ein Bild wie aus einem modernen Western!
Wir kamen nicht mehr weiter, denn rechts der Straße hatten zwei bewaffnete Männer das Gebüsch verlassen und betraten die schmale Fahrbahn, ohne sich um den herannahenden BMW zu kümmern.
Suko reagierte sauer. »Diese Wildwesthelden haben uns ausgerechnet noch gefehlt.«
»Mal sehen, was sie wollen.«
Suko ließ den Wagen sehr knapp ausrollen. Die beiden Männer trugen gefütterte Jacken, die ihre Körper noch breiter machten. Die Hosenbeine der dicken Winterjeans verschwanden in Schaftstiefeln, die Gesichter wirkten hart und entschlossen.
Auf mich machten sie den Eindruck irgendwelcher Farmer, die aufgehetzt worden waren.
Einer riss die Beifahrertür auf und schob die Mündung des Gewehres in den Wagen. Ich drehte den Kopf, weil ich die Mündung nicht unbedingt an meiner Wange spüren wollte.
»Aussteigen, Mister!« Der sichtbare Atem des Mannes erreichte mich.
Ich roch eine leichte Alkoholfahne.
»Und weshalb?«
»Weil wir es so wollen«, erwiderte er grinsend und ganz im Gefühl seiner Macht.
»Okay, denn.«
Ich stieg aus und gelangte in die Kälte. Die Sonne hatte sich hinter den dunstigen Wolken versteckt. Erster Dunst stieg auch aus den Wiesen und Feldern. Für uns hatte es ausgesehen, als wäre diese Umgebung mit zahlreichen Löchern bestückt, aus denen der Nebel kroch. Die Temperaturen lagen dicht über dem Gefrierpunkt. Es war nasskalt geworden. Ein Wetter, wo man am besten im Haus blieb.
Der Mann vor mir hatte ein rundes Gesicht mit breiten Lippen. Seine Nase bog sich an ihrem Ende in die Höhe. Er schaute mich sehr böse an.
Unter den hellen Brauen blitzten ebenfalls helle Augen. »Was haben Sie hier zu suchen?«
»Wir sind auf der Durchreise.«
Während der Antwort hatte ich über das Wagendach hinweggeschielt. Suko war auf der anderen Seite ausgestiegen, auch er blickte in eine Gewehrmündung.
»Wohin?«
»Geht Sie das was an?«
»Ja, Mister, das geht uns
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