0663 - Das Unheil erwacht
Mutter, das ist normal.«
Die Blinde bewegte sich wieder auf den Tisch zu, wo sie sich zielsicher niederließ. »Nein, mein Kind, nicht heute. Nicht in diesen verdammten Tagen. Da ist alles anders.«
»Hör doch auf!« brüllte Jade die Mutter an und erschrak über ihre eigene Stimme. Sie entschuldigte sich sofort, doch Alma hatte die Worte der Tochter nicht tragisch genommen.
»Du bist eben nervös. Der andere Einfluss. Ich verstehe das, und du solltest damit anfangen, es zu begreifen.«
Jade stand dicht vor einer Explosion. Sie holte tief Luft, aber sie schrie nicht mehr. Es kostete sie wahnsinnige Mühe, sich zu beherrschen, und dann sagte sie mit leiser Stimme: »Ich muss für einige Zeit allein sein.«
»Bitte. Du willst weg?«
»Nein.« Jade schaute gegen die dunklen Gläser. »Ich werde nicht weggehen. Ich verlasse das Haus nicht, ich möchte mich nur in mein Zimmer zurückziehen.«
Dagegen hatte Alma nichts einzuwenden. »Das ist sogar sehr gut, Kind. Wenn man allein und ungestört ist, kann man über vieles nachdenken. Ich wünsche dir einen Erfolg.«
»Danke Mutter.«
Jade Prentiss verließ die Küche. Vom schmalen Flur, schon mehr eine Diele, zweigte eine Treppe ab. Die Stufen führten nach oben. Die zum Keller lagen hinter einer Tür verborgen.
Die Schlafräume von Mutter und Tochter lagen beide in der ersten Etage. Bewusst laut und hörbar lief Jade die Treppe hoch, ihre Mutter sollte keinesfalls Verdacht schöpfen.
Irgendwann vor Jahren einmal waren die Holztüren hell gestrichen und lackiert worden. Die Farbe gefiel der jungen Frau nicht. Dieses Senfgelb passte einfach nicht, aber sie wollte auch nicht überstreichen. In ihrem Zimmer befanden sich nicht allein die normalen, zweckgebundenen Einrichtungsgegenstände, sondern auch eine Hi-Fi-Anlage der ersten Qualität, denn Jade hörte gern Musik. Sie bevorzugte nicht unbedingt eine Richtung. Mal liebte sie Bach und Mozart, dann wieder Michael Jackson oder Prince.
Als sie jetzt nach einer Platte griff, war es Klassik. Beethoven, denn sie wusste, dass seine Konzerte nicht eben zu den leisesten gehörte. Und Lautstärke brauchte sie in den nächsten Minuten damit ihre Mutter abgelenkt wurde.
Beethovens Neunte erschien ihr goldrichtig. Sie legte die Scheibe auf, und sehr bald schon erfüllte diese Musik das Zimmer und das ganze Haus.
Auf dem schmalen Flur stehend und ebenfalls nahe der Treppe wartete Jade ab.
Es konnte sein, dass Alma Prentiss gegen die Lautstärke protestierte, denn bei ihr kam es auf die Tagesform an. Diesmal hörte Jade keinen Protest. Die Mutter blieb ruhig.
Außerdem mochte sie Beethoven, und Jade lächelte, als sie daran dachte.
Das nahezu perfekte Gehör ihrer Mutter hatte sie schon manches Mal aufgeregt. Heute protestierte sie nicht. Sie blieb auch in der Küche, so dass Jade durch den schmalen Flur auf die Kellertür zuhuschen konnte, denn dieser Weg in die Tiefe war wichtig.
Noch immer quietschte die Tür in den Angeln, aber die Musik übertönte das Geräusch.
Vor ihr lag ein dunkler Schatten. Die Stufen waren nur mehr zu ahnen.
Man konnte sich beim Hinabsteigen leicht den Hals brechen, auch Menschen, die hier wohnten. An den Kanten waren die Stufen abgetreten und glatt und deshalb so gefährlich.
Jade schaltete das Licht ein. Eine sehr trübe Funzel, die auf den Stufen einen matten Schein hinterließ. Er sah aus, als würde er sich auf Glatteis spiegeln.
Beethovens Musik dröhnte durch das Haus. Sie übertönte alle Geräusche, selbst die scheppernde Hausklingel wäre von Alma Prentiss nicht gehört worden.
Es gefiel Jade überhaupt nicht, dass ihre Mutter die Ahnungen verspürte.
Sie kannte das, es war nicht das erste Mal. Immer hatten sich die Ahnungen bestätigt. Zudem besaß sie recht. In dem Haus lauerte etwas Böses, Schreckliches. Es war das Grauen, das Jade gefunden hatte. Sie hatte sich auch in den letzten Tagen keinerlei Gedanken darüber gemacht, woher es wohl gekommen sein konnte, ließ den Gedanken an die Außerirdischen nicht außen vor.
Sieben Stufen besaß die Treppe. Abschnitte, die Jade in eine völlig andere Welt brachten. Hinein in den dumpfen, feucht und modrig riechenden Keller, wo Kriechgetier wie Asseln, Käfer und Spinnen ihre Heimat gefunden hatten, sich hin und wieder Mäuse und Ratten verirrten.
Die Lampe reichte nur aus, um die Treppe zu erleuchten. Wenn der Keller hell werden sollte, musste Jade einen zweiten Schalter betätigen.
Es waren noch die altmodischen
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