067 - Der Redner
sich eine andere Tätigkeit vor, von der seine Angestellten nicht die geringste Ahnung hatten.
Die Verschiffung gebrauchter Autos nach Indien und dem Fernen Osten ist ein rentables Geschäft, wenn man nicht zuviel für die Wagen zahlt, und Mr. Giles zahlte fast gar nichts dafür. Er besaß eine große Garage in der Nähe der London Docks, wo große Holzkisten für die Autos gemacht wurden, und verdiente ein Vermögen durch diesen unreellen Handel. Wie man dieses Geschäft betrieb, hatte er von einem Leidensgenossen im Dartmoor-Gefängnis erfahren. Er war bereits auf dem Weg, der größte Autohehler Londons zu werden. Merkwürdigerweise entwickelte sich auch seine andere Firma glänzend.
In der Nacht vor seinem Besuch bei Mr. Rater war er in einem gestohlenen Wagen nach Sunningdale gefahren. Zwei Komplicen begleiteten ihn, und sie erbeuteten bei einem Einbruch für tausendfünfhundert Pfund Schmuck und Silber. Und dies war nicht sein erstes Abenteuer dieser Art, nachdem er aus dem Gefängnis entlassen worden war.
Er hatte sich mit seinen Leuten eine sehr einfache Arbeitsmethode zurechtgelegt. Ein Mitglied der Bande stahl irgendein Auto und nahm in einer stillen Straße im Vorüberfahren zwei Kollegen mit. Dann fuhren sie zu dem Haus, das sie vorher genau ausgekundschaftet hatten. Es war Giles jedoch nicht ganz leichtgefallen, die nötigen Leute aufzutreiben. Higgy James, den er schließlich fand, machte ihm einen Vorwurf.
»Sie sind ja recht tüchtig in Ihrem Fach, Farmer, aber Sie haben immer diese verdammte Pistole bei sich. Wenn Sie die nicht zu Hause lassen, mache ich nicht mit. Sie sind schon einmal sieben Jahre ins Loch gewandert, weil Sie einen Schutzmann angeschossen haben, und wenn Sie das nächstemal erwischt werden, bleiben Sie lebenslänglich drin. Und jeder, der mit Ihnen gefangen wird, kann sich auf dasselbe gefaßt machen.«
Das Silber aus dem letzten Raub war längst eingeschmolzen, und die Firma Giles & Co. verkaufte die Barren im rechtmäßigen Handel.
An diesem Tage verließ der Farmer sein Büro früher und ging zu seiner Wohnung in der Acacia Street. Als er an Nr. 910 vorüberkam, wo sein unliebsamer Nachbar wohnte, blickte er düster nach den dunklen Fenstern.
Er schloß die eigene Haustür auf und trat in das Speisezimmer. Helen, seine junge Frau, die neben dem Kamin saß und nähte, erhob sich schnell. Auch ein Fremder, der die Beziehungen dieser beiden Menschen zueinander nicht kannte, hätte unwillkürlich den Eindruck haben müssen, daß sie sich trotz ihres erzwungenen Lächelns entsetzlich vor dem Mann fürchtete. Wenn ihre Schönheit schon nach so kurzer Ehe gelitten hatte, war das nur auf Giles häßliche Behandlung zurückzuführen. Aber die Narbe war fast verschwunden, wie er mit Befriedigung feststellte. Es war doch immerhin möglich, daß dieser verdammte Rater eines Tages seine Einladung ernst nehmen und ihn tatsächlich besuchen könnte.
»Bring mir Tee«, sagte er kurz.
»Ja, sofort.«
Als sie zur Tür ging, rief er sie zurück.
»Hat sich der Kerl von nebenan hier herumgetrieben?«
»Nein, er hat nicht mit mir gesprochen, und ich habe ihn auch nicht gesehen ...«
»Lüg mir bloß nichts vor«, erwiderte er drohend. »Wenn ich einmal nach Hause komme und dich abfasse, wenn du mit ihm über die Gartenmauer schwätzt, dann kannst du was erleben!«
Sie antwortete nicht, wurde aber bleich, während sie noch an der Tür wartete.
»Ich habe dich aus dem Rinnstein aufgelesen - du warst doch weiter nichts als eine verhungerte Verkäuferin. Bis über die Ohren hast du in. Schulden gesteckt! Warum ich dich überhaupt geheiratet habe, ist mir selbst ein Rätsel. Wahrscheinlich habe ich damals eine Art Sonnenstich gehabt. Dann habe ich so einem hergelaufenen Ding wie dir eine schöne Wohnung eingerichtet und dir alles gegeben, was man sich nur wünschen kann!«
»Ich bin dir ja auch sehr dankbar dafür«, entgegnete sie schnell, aber er brachte sie durch eine abwehrende Handbewegung zum Schweigen.
»Bring mir jetzt endlich den Tee!«
Er wachte oft morgens auf und ärgerte sich, daß er dieses junge Mädchen geheiratet hatte. Männer sollten sich eigentlich nur um ihr Geschäft kümmern, und er war nun einmal ein Einbrecher. Mit Bigamie sollte er sich nicht befassen. Dadurch hatte er auch Scotland Yard einen Grund gegeben, einzugreifen, sobald etwas von seiner ersten Ehe bekannt wurde. Und diesen Unsinn hatte er gerade in dem Augenblick gemacht, als er die ersten dreitausend
Weitere Kostenlose Bücher