067 - Der Redner
kurz.
»Meinen Sie meine Nichte?« Julian gab sich alle Mühe, unbefangen zu erscheinen. »Um Himmels willen, ist ihr etwas zugestoßen? Aber woher soll ich denn das wissen?«
»Wo ist sie?«
»Ich schwöre Ihnen -«
»Lassen Sie doch diese Mätzchen, Mr. Linstead«, entgegnete der Redner ärgerlich. »Ich bin nicht die ganze Nacht aufgeblieben, damit Sie mir hier schließlich Märchen vorerzählen. Sie ist in Ihrem Bungalow an der Themse, das ist ganz klar. Ich weiß nur nicht genau, wo er liegt. Aber wenn ich nach Scotland Yard gehe, kann ich das schnell genug herausbekommen!«
Mr. Linstead sah ihn bleich und verstört an.
»Dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig«, sagte er und schien plötzlich um Jahre gealtert zu sein. »Sie ist tatsächlich dort, wo Sie sagen, aber sie ist sicher, und es geht ihr gut. Ich habe sie am Abend dorthin gebracht und eine Krankenwärterin aus der Irrenanstalt engagiert, die sie betreut. Es wird ihr nichts passieren, und ich hoffe, daß sie zur Vernunft kommt - ich will damit gerade nicht sagen, daß sie geisteskrank ist«, fügte er schnell hinzu, »nur ...«
»Nur achten Sie viel zu sehr auf das, was Ihr verrückter Freund, dieser Professor Hoylash, sagt«, entgegnete der Redner ruhig.
Julian Linstead schaute schnell auf.
»Wie meinen Sie das?«
»Und aus diesem Grund wollen Sie auch Ihre Nichte daran hindern, zu heiraten. Nun, ich kann Ihnen etwas mitteilen, das Sie sicher sehr interessiert: Sie ist längst verheiratet!«
In Mr. Linsteads Blick zeigten sich Angst und Entsetzen.
»Was - sie ist verheiratet?« fragte er mit heiserer Stimme.
»Ja, bereits vor vier Monaten ist sie standesamtlich getraut worden.«
Der Schrecken wich allmählich wieder aus Linsteads Zügen, und schließlich seufzte er erleichtert auf.
»Vor vier Monaten schon? Aber das ist doch unmöglich -«
»Es ist nichts unmöglich. Nur die Horoskope stimmen manchmal nicht. Ich habe etwas in Ihren Büchern gelesen, und das übrige konnte ich mir zusammenreimen. Außerdem habe ich zwei Horoskope in Ihrem Schreibtisch gefunden, die Professor Hoylash aufgestellt hat - das eine für Sie, das andere für Ihre Nichte. Der gute Mann hat ausgerechnet, daß Sie an dem Hochzeitstag Ihrer Nichte sterben würden. Und vier Monate nach diesem gefährlichen Zeitpunkt sind Sie noch munter und vergnügt am Leben!«
»Aber sie hat mir doch nie gesagt, daß sie ... Warum hat sie mir denn dann geschrieben, daß sie morgen - in einer Kirche heiraten würde?«
»Sie wird schon ihren Grund dafür haben«, erwiderte der Redner trocken. »Es sollte mich nicht wundern, wenn Sie bald Großonkel würden.«
Geschmuggelte Smaragde
Chefinspektor Rater hatte einen Freund beim Finanzamt, der beinahe ebenso schweigsam war wie er selbst. Wenn er sich einmal erholen wollte, machte er mit diesem Mann weite Spaziergänge. Manchmal ließ Mr. Rater dann im Laufe des Tages die Bemerkung hören, daß es nach Regen aussähe, und beim nächsten Ausflug tat sein Freund eine ähnliche Äußerung. Gelegentlich sagte auch der Beamte vom Finanzamt, daß sie wahrscheinlich den falschen Weg gegangen wären, aber gewöhnlich nahmen sie den richtigen und hatten also keine Veranlassung, darüber zu reden. Zuweilen brachten die beiden Freunde das ganze Wochenende miteinander zu. Dann saßen sie in einem flachen Boot, das am Ufer festgebunden war, und machten schweigend Jagd auf die stummen Fische.
Ein gewisser Mark Ling, der hauptberuflich ein Verbrecher war, besaß in der Nähe von Marlow eine Villa, und es war sein Lieblingstraum, daß der Chefinspektor eines guten Tages mit dem Kahn umkippen und ertrinken möchte. Stundenlang lag er flach auf der Wiese, drückte sich ins Gras und beobachtete die beiden reglosen Gestalten, die wie holzgeschnitzte Götterstatuen in ihrem Fahrzeug saßen. Aber das Schicksal erfüllte seinen Wunsch nicht, obwohl er schon einen Bootshaken mitgebracht hatte, um den verhaßten Mr. Rater auch lange genug unter Wasser zu halten.
Manchmal hatte Mr. Ling selbst Besuch. Steiny Lamb hatte manche Interessen mit ihm gemeinsam, und sie sprachen meist über geschäftliche Angelegenheiten. Und zwischen ernsthaften Unterhaltungen über Nachschlüssel, Fensteröffner und die beste Art, Polizeistreifen aus dem Weg zu gehen, lagen sie lange Zeit im Grase und beobachteten Mr. Rater und seinen Freund.
»Man kann ja sein eigenes Wort nicht verstehen bei dem vielen Gerede«, meinte Mark ironisch. »Ich möchte nur wissen, wer der
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