0679 - Der Schrecken von Botany Bay
seine Gastgeber ihm nichts antun wollten, aber er wusste nicht, wie die Behörden in diesem Land seinen Fall beurteilen würden, sollte seine Anwesenheit bekannt werden. Immerhin befand er sich in Frankreich, und einem Volk, das seinem eigenen König den Kopf abschlagen ließ, konnte man nicht trauen. Da war es besser, bestimmte Vorkehrungen zu treffen. Auch wenn das bedeutete, dass er seine Gastgeber hinterging.
Watling hatte in den vier Jahren seines Exils, zuerst auf dem Schiff und dann an Land, erlebt, wie die Menschen wirklich waren. Er hatte gesehen, wie ein Mann einem anderen das Kochgeschirr stahl und das Opfer zwang, einen Teil der eigenen Rationen abzugeben, um es benutzen zu dürfen. Nach zwei Wochen war der Bestohlene verhungert. Er selbst hatte während des Transports den Tod des Mannes verheimlicht, der an ihn gekettet war, um dessen Rationen zu bekommen. Erst nach einer Woche hatte der Gestank in der Hitze des Unterdecks ihn gezwungen, die Wachen zu informieren. Watling hatte von einem anderen Gefangenen gehört, der es einen ganzen Monat neben seinem toten Mitgefangenen ausgehalten hatte, bevor auch er aufgab.
Trotz allem sind wir keine Tiere, dachte er, man zwingt uns nur, wie Tiere zu handeln, um zu überleben.
Thomas Watling hatte in der Hitze Australiens gelernt, dass sich jeder selbst der Nächste war, egal, wie freundlich und hilfsbereit sich andere gaben. Im entscheidenden Moment würden auch sie nur noch an sich selbst denken.
Mit diesen Gedanken betäubte er sein schlechtes Gewissen, während er die Zimmer des Châteaus durchstöberte - auf der Suche nach Nützlichem und nach Waffen.
Den nackten Schwarzen, der ihm dabei die ganze Zeit folgte und Worte des Misstrauens und des Hasses in sein Ohr raunte, bemerkte er nicht.
***
Merlin blieb vor den beiden Dämonenjägern stehen. Kurz warf er einen Blick auf den hageren Schwarzen, der neben ihnen hockte und jede Bewegung im Raum genau verfolgte.
Er ist ein Aborigine, erkannte der Zauberer. Ich kann ihn sehen, aber Nicole und Zamorra können das nicht. Ist er kein Teil dieser Zeitlinie, oder gibt es einen anderen Grund?
Als er sich entschloß, Château Montagne aufzusuchen, wusste Merlin, dass er ein Risiko einging. Beim letzten Mal hatte Zamorra ihn mit der Waffe bedroht und ihn davongejagt. Er verstand einfach nicht, warum es wichtig war, gegen die Hexe Yaga anzugehen, die die Russen Baba nannten, Großmutter. [6]
Aber Merlin konnte Zamorra einfach nicht in alles einweihen. Aber Zamorra verstand das nicht, oder er wollte es nicht verstehen.
Deshalb war Merlin nicht sicher gewesen, wie Zamorra bei seinem neuerlichen Auftauchen reagieren würde. Zumal es erneut um ein Zeitphänomen ging…
Aber Zamorra reagierte überhaupt nicht feindlich.
Das zeigte dem alten Zauberer, wie stark die Veränderungen sich bereits etabliert hatten. Die Aktion gegen Baba Yaga schien in dieser unseligen Variante nicht stattgefunden zu haben, folglich wusste Zamorra nichts davon und war Merlin gegenüber auch nicht ablehnend und feindselig.
Das machte es Merlin etwas leichter…
»Was meinst du damit?«, unterbrach Nicole seine Gedanken. Sie schien über sein Auftauchen nicht einmal überrascht zu sein, so wenig wie Zamorra. In dieser - verfälschten! - Zeitvariante schien Merlins Anwesenheit im Château nichts Ungewöhnliches für die beiden Menschen zu sein!
Merlin seufzte. »Die Zeit wurde verändert. Ich bin den Verknüpfungen bis hierher gefolgt. An diesem Ort wurde der Stein ins Wasser geworfen, dessen Wellen sich über den gesamten Strom ausdehnen.«
»Und der Stein ist Watling?«, fragte Nicole.
Der Zauberer nickte. »Er muss zurück in seine Zeit.«
»Aber warum?«, fragte Zamorra nachdenklich. »Welche Bedeutung hat Thomas Watling für die Weltgeschichte? Und was ist mit diesem Land, von dem er erzählt?«
»Das darf ich euch nicht sagen«, gestand Merlin. »Der Zeitstrom ist so instabil, dass durch euer Wissen eine neue Abspaltung entstehen könnte. Glaubt mir, dass ich euch gern mehr Informationen geben würde, aber das wäre zu gefährlich.«
Der Zauberer stockte, als der Schwarze plötzlich aufstand und ihm direkt ins Gesicht sah. In seinen dunklen Augen lag eine unausgesprochene Drohung.
Er wagt es, mir zu drohen?, dachte Merlin irritiert. Weiß er denn nicht, wer vor ihm steht?
»Nur soviel kann ich euch sagen«, fuhr er fort, während der Aborigine langsam auf ihn zuging und die Faust hob. »Der Schlüssel für die Lösung des
Weitere Kostenlose Bücher