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0679 - Der Schrecken von Botany Bay

0679 - Der Schrecken von Botany Bay

Titel: 0679 - Der Schrecken von Botany Bay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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wartete, bis der Engländer den ersten Schluck getrunken hatte.
    »Das wird jetzt ein ziemlicher Schock für dich sein«, sagte sie dann vorsichtig, »aber du bist nicht nur an einen anderen Ort, sondern auch in eine andere Zeit gereist.«
    Watlings Augen wurden groß, während er angespannt zuhörte. Weder er noch die beiden Dämonenjäger bemerkten den hageren nackten Schwarzen, der die ganze Zeit stumm neben ihnen stand und sie beobachtete…
    ***
    Das große Lagerfeuer loderte in die sternklare australische Nacht empor. Mehr als zwanzig schwarze Männer standen in einem Kreis um das Feuer herum und stampften rhythmisch mit den Füßen auf. Sie alle hatten ihre nackten Körper mit breiten weißen Strichen bemalt, was ihnen das bizarre Aussehen wandelnder Skelette gab. Vier weitere, ebenfalls bemalte Männer saßen auf der staubigen roten Erde und bliesen in lange Holzröhren. Der tiefe, brummende Ton, der aus den Didgeridoos austrat, hallte durch die Dunkelheit und ließ die Blätter der Eukalyptusbäume vibrieren.
    In der Mitte des Kreises tanzte ein alter schwarzer Mann mit krausem weißen Haar so nah am Lagerfeuer, dass sein Körper rußgeschwärzt war und immer wieder in einen Funkenregen geriet. Seine Bewegungen waren abgehackt wie die eines Roboters. Seit drei Tagen und drei Nächten tanzte er die Wege der Traumzeit nach, verloren in einer Vision, an der die Umstehenden nicht teilhaben konnten. Und so wachten sie auf ihre eigene Weise über ihn und begleiteten seine Reise mit ihrem Rhythmus.
    Die Frauen des Clans fehlten. Sie durften diesem Stammesritual nicht beiwohnen.
    Plötzlich erstarb das tiefe Dröhnen der Didgeridoos. Die Männer, die gestanden hatten, gingen in die Hocke und starrten gespannt auf den Tänzer, dessen Körper noch einige Male unkontrolliert zuckte, bevor auch er sich auf seine Fersen niederließ.
    »Es ist vollbracht«, sagte er heiser. Man konnte ihn kaum verstehen, aber der Stolz in seiner Stimme war unüberhörbar. »Die Pfade der Traumzeit sind miteinander verwoben. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind eins, so wie es die Schöpferwesen wollten und wollen werden. Der Kreis ist geschlossen, und wir befinden uns endlich in ihm. Wir werden im Mittelpunkt der immer währenden Schöpfung leben. In Sicherheit.«
    Der Kopf des alten Mannes fiel haltlos nach vorne, dann kippte sein Körper zur Seite. Er war tot.
    Die Männer des Stammes murmelten einige Worte. Vier von ihnen standen auf, hoben den Toten auf ihre Schultern und trugen ihn einmal um den Kreis herum. Dann warfen sie seinen Leichnam ins Feuer.
    Nach und nach standen auch die anderen auf. Wortlos gingen sie zu den Bäumen, die sie sich als Schlafplatz gewählt hatten, und legten sich darunter nieder. Nur zwei blieben vor dem Feuer sitzen. Der eine, um dem alten Mann, der für die Vision sein Leben gegeben hatte, Respekt zu zollen, der andere, um seinen Triumph im Licht der Flammen zu genießen.
    »Jetzt ist es also sicher«, sagte der erste, »dass wir stets so leben können, wie wir es immer wollten. Aber ich fühle mich nicht anders. Alles erscheint mir, wie es zuvor war.«
    Der zweite lachte leise. »Du bist ein Narr, Wantapari. Es ist alles so, wie es war und immer sein wird. Ein Kreislauf, der niemals endet, und doch kein Kreis, sondern das Einzige immer und überall.«
    Sein Blick kehrte zu dem langsam verbrennenden Körper des alten Geschichtenerzählers zurück. Eigentlich hätte nicht er in diesen Flammen liegen sollen, sondern Gulajahli selbst. Nur durch einen Trick war es ihm gelungen, dem Alten die Last der Vision aufzubürden. Gulajahli bedauerte den Verlust der Geschichten, die mit ihm verbrannten, aber es war nicht anders möglich gewesen, seinen Plan umzusetzen. In einer Zeitspanne, die von den Weißen als zweihundert Jahre bezeichnet worden wäre, in der Traumzeit aber jegliche Bedeutung verlor, hatte er die Pfade beschriften und die Kraft der Traumzeit genutzt, um seine eigene Schöpfung zu entwickeln.
    Gulajahli, der Aborigine vom Clan der Eora, hatte gesiegt. Der Kreis war geschlossen und »Australien«, wie die Weißburschen das Land der Väter und Kinder nannten, aus der Geschichte der Welt verschwunden.
    Wie es sein sollte.
    ***
    Nicole saß nachdenklich am Swimmingpool und beobachtete, wie sich die letzten Sonnenstrahlen des Tages auf dem Wasser brachen. Sie drehte sich um, als sie Schritte hörte.
    »Hast du ihnen Bescheid gesagt?«, fragte sie Zamorra, als er aus der Tür trat.
    »Ja. Patricia,

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