0684 - Wald der toten Geister
unbegreiflich. Sie hatte sich unter der Erde verborgen gehalten und war nun hervorgekrochen.
Es war still geworden, deshalb konnte er die klatschenden Laute sehr deutlich hören.
Hinter ihm tropfte etwas in den Tümpel.
Suko hatte einen bestimmten Verdacht. Er drehte sich vorsichtig um, es machte ihm nichts aus, den übrigen Angreifern den Rücken zuzudrehen, er wollte nur wissen, was dort ins Wasser fiel.
Es waren dicke Tropfen.
Sie fielen aus luftiger Höhe, und sie waren nicht nur dick, sondern auch rot.
Rot wie Blut…
Und sie lösten sich dort, wo die Schlinge pendelte.
Es hatten sich in der Zwischenzeit noch mehr Lianen um den Körper gedreht. Er war von ihnen regelrecht eingewoben worden und konnte dem mächtigen Druck der ungewöhnlichen Fesseln nicht widerstehen. Keine Kleidung schützte den Mann. Sie glitten in den Körper hinein wie Sägen, rissen das Fleisch. Und sie töteten.
Das Wesen dort oben starb auf furchtbare Art und Weise. Es blieb nicht nur beim Blut, bald fielen auch andere Teile nach unten, und zuletzt klatschte ein Kopf in den Tümpel.
Suko konnte das genau beobachten. Zudem hatte sich der Kopf so gedreht, dass ihm das Gesicht zugewandt war. Es zeigte einen furchtbaren Schrecken, der wie eingemeißelt in den Zügen stand und auch nicht mehr verschwand, denn als der Kopf in dem Tümpel landete, kam er nach kurzer Zeit noch einmal hoch und präsentierte Suko sein Gesicht, in dem sich nichts verändert hatte.
Ein letztes Schmatzen der Flüssigkeit, einige wenige Blasen, die für Momente auf der Fläche schwammen, dann war alles vorbei, der Kopf endgültig im Wasser verschwunden.
Nur noch drei Gegner, aber auch die waren gefangen, während sich kein Wurzelarm um die Füße des Inspektors gewickelt hatte.
Dennoch lag eine zweite Haut auf seinem Rücken. Die letzte halbe Minute war zu einem Zeitablauf des Schreckens geworden, und sie hatte sich in Sukos Hirn festgesetzt.
Er dachte an die dritte Macht, die in diesem Wald das eigentliche Sagen hatte, und er fragte sich, wer sie war. Ob sie einen Namen hatte, aus welcher Welt sie stammte.
Suko erhielt eine Antwort.
Langsam und gewaltig…
Sie hatte sich bisher tief in der Erde verborgen gehalten, aber jetzt verließ sie das Versteck. Sie wühlte sich hervor, die Wurzeln und Pflanzen gerieten in zitternde Bewegungen, so etwas wie Furcht strömte aus dem Untergrund.
Und dann sah er sie.
Umrisse auf dem Boden, die er mit gutem Gewissen als ein Gesicht ansehen konnte.
Uralt, knotig verfilzt, aus zahlreichen Wurzeladern bestehend, die außen und innen zusammenliefen.
Eine Nase wie eine Knolle, Augen nur angedeutet, dafür war das Gesicht überall zu sehen.
Es zeichnete sich schwach inmitten der grauen Baumstämme ab, es durchwob das Geäst und war dort ebenfalls zu sehen, aber in den größten Umrissen zeichnete es sich am Boden ab.
Suko starrte es an.
Er hatte plötzlich das Gefühl einer ungemein starken Erleichterung. Es kam über ihn und beruhigte seine Nerven. Er war froh, er atmete nach dem Schock zum ersten Mal tief durch, denn er kannte das Gesicht und wusste gleichzeitig, dass ihm dieses Wesen, der eigentliche Herrscher in dem Wald, nichts tun würde.
Es war Mandragoro!
***
Es war Mike Evans, den ich sah, daran gab es nichts zu rütteln. Nur war er kein normaler Mensch mehr oder ein Zombie, er gehörte zu den Veränderten.
Ihm waren Flügel gewachsen.
Einen Teil der Kleidung hatten sie mit immenser Kraft durchbrochen, sie wuchsen hinter den Armen hervor und hatten mächtige Ausmaße.
Ich schaute ihn an. Der kalte Wind biss schmerzhaft in mein noch nasses Gesicht. Es regnete nicht mehr. Nur vereinzelt schleuderte der Wind noch Tropfen hoch und ließ sie wie kleine, kalte Eiskörner auf unsere Körper fallen.
»Wer bist du, Junge?« Ich stellte die Frage sehr ruhig, weil ich ihn mit keinem Wort provozieren wollte. Er sollte keine Furcht vor mir bekommen, und es sah so aus, als würde ich richtig liegen.
Bis Phil Evans kam.
Bevor ich es verhindern konnte, hatte er seinen Sohn erreicht und umschlang ihn mit beiden Armen wie ein Krake sein Opfer. »Nein, du wirst ihm keine Antwort geben, Mike! Du wirst den Mund halten!« So gut es ging, presste er den Körper an sich und stellte sich auch vor ihn, aus Angst, dass ich seinem Sohn etwas antun könnte.
Das hatte ich nicht vor. Im Gegenteil, ich wollte Mike helfen. Er sollte sich mir offenbaren, ich wollte herausfinden, weshalb und wieso ihn dieses verfluchte Schicksal
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