0687 - Sie sind wieder da
vermoderten, zerfielen oder die Knochengerüste zu Staub wurden?
Aber manchmal stellte sich das Böse auch gegen die Gesetze der Natur. Da sollte der Mensch im Grab nicht zu Staub werden, da bewegte sich etwas in seinem Innern, das nicht zu sehen war. Da war der Keim gesät, um wie eine Blume des Schreckens aufzugehen.
So war es auch an einem bestimmten Ort am Londoner Stadtrand, wo der einsame Friedhof auf einem Hügel lag.
Angehörige hatten die meisten Gräber geschmückt, sie mit Steinen und Kreuzen versehen, doch das war nicht alles auf diesem Stück Land.
Es reichte nur bis zu einer Hecke, dahinter lag der zweite Teil des Friedhofs. Ein alter Acker, ein totes Land, ebenfalls in Gräber unterteilt, die allerdings keinen Schmuck trugen.
Hier grüßte kein Stein, kein Kreuz. Die Leichen, die hier lagen, waren kurzerhand vergessen worden, oder man hatte sie bewusst vergessen. Niemand interessierte sich für sie. Die Besucher betraten diesen Teil des Friedhofs nicht.
Längst hatten sich Gerüchte gebildet, dass es dort spuken sollte, aber Geister waren noch nicht gesehen worden. Jedenfalls gab es keinen, der sich bei Anbruch der Dunkelheit auf dem Friedhof aufhielt.
Der zweite Teil glich mehr einem Feld. Hier hatte die Natur wuchern und die meisten Gräber überdecken können. Kratziges Gesträuch breitete sich aus. Blätter lagen wie ein Teppich überall verstreut. Unkraut wucherte.
Der Wind spielte mit den Zweigen, er ließ die Blätter tanzen, er rüttelte an den Bäumen, als wäre er dafür geschaffen, eine Botschaft zu bringen.
Und so etwas wie eine Botschaft war es auch, die er über die beiden Teile des Friedhofs schickte.
Niemand konnte sie hören, kein Mensch hätte sie je verstanden, aber diejenigen, auf die es ankam, merkten sehr wohl, dass sich etwas tat, dass die Zeit erreicht war, auf die sie so lange und intensiv gewartet hatten.
Die Stunde der Rückkehr…
Der Wind brachte die Befehle, die bösen Gedanken. Es gab kein Hindernis für ihn. Er trug seine finstere Botschaft in jede Spalte, jeden Riss am Erdboden, er drang in die Tiefe und verteilte sie dort, wo die Leichen lagen.
Tote, die als Menschen zu den Randgruppen der Gesellschaft gehört hatten und auf diesem Acker verscharrt worden waren. Irgendwo mussten Mörder und Verbrecher hin, aber auch Arme und Arbeitslose hatten hier die letzte Ruhestätte gefunden. Die Stadt war froh, überhaupt einen Ort zu haben, wenn keine Verwandtschaft mehr existierte, die für eine normale Beerdigung sorgte.
Bis auf die wenigen Besuche lag das Gelände des zweiten Friedhofsteils ruhig da. Wer hier verscharrt lag, zu dem kam niemand mehr, und so hatten die Kräfte des Bösen leichtes Spiel. Sie konnten sich hier eine Insel, eine Oase schaffen, um all die Dinge in Bewegung zu setzen, auf die sie hinarbeiteten.
Der Zeitpunkt lag nicht fest. Er war abhängig von gewissen Vorgaben, von den Kräften, die für Menschen nicht fassbar waren, die hinter den Wänden lauerten und dann frei kamen, wenn die unsichtbaren Mauern eingerissen wurden.
Die Wolkendecke drückte tiefer. Von Westen her war sie herangetrieben, eine graue Masse, sehr dicht, sehr kompakt oder schwer wie Blei aussehend.
Sie trieb über die Grenzen der Stadt hinweg und machte London und seine Umgebung düster.
Auch den Friedhof ließ sie nicht aus. Die Wolken verbargen die Sonne. Dafür frischte der Wind auf und wehte noch intensiver über den alten Totenacker.
Laub raschelte. Es verursachte Geräusche wie flüsternde Stimmen, die sich Geschichten aus fremden, unheimlichen Welten erzählten, die nur für sie selbst zu hören waren und nicht für fremde Ohren.
Manchmal strich ein kalter Luftzug gegen die Gewächse. Dann bewegten sich die Zweige, dann zitterten die Blätter, als würden sie unter einem Kälteschock leiden.
Niemand sah es, niemand beobachtete es. Gräber versteckten sich schamhaft hinter Baumstämmen oder Büschen. Es war kaum zu erkennen, wo die Toten lagen, weil es keine Abgrenzungen gab.
Man hatte bewusst auf irgendwelche Kantsteine verzichtet, keine Grenzen gezogen, denn dieser alte Totenacker sollte fließen. Er war die Fläche, die allein den Toten gehörte.
Und der Friedhof blieb ruhig. Totenstille unter der lehmigen Erde. Kein Geräusch war zu hören.
So vergingen Tage, Monate und Jahre…
Aber das Wissen blieb.
Irgendwann würde es sich ändern. Irgendwann würde der Wind die Botschaft des Bösen herbeitragen, diese geheimnisvollen Worte, die seit
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