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069 - Ein gerissener Kerl

069 - Ein gerissener Kerl

Titel: 069 - Ein gerissener Kerl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Wallace
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Vorläufig bedeuteten sie ihr Tragödie und Herzweh. Nur einen glücklichen Menschen hatte sie in Somerset zurückgelassen. Der Butler, der wie ein Heiliger aussah, trug ihr den Koffer zum Wagen und drückte ihr in erregtem Flüsterton seine Dankbarkeit für ihre Hilfe und ihren Rat aus.
    »Ich habe hundert zu sechs Pfund gewonnen, gnädiges Fräulein, und würde es für einen Vorzug erachten, wenn Sie Mr. Braid meinen Dank aussprächen. Und wenn Sie vielleicht so freundlich wären, gnädiges Fräulein, ihn zu fragen, ob sein Zweijähriger in Lewes irgendwelche Chancen hat ... Natürlich nur, wenn es Ihnen keine Mühe macht, gnädiges Fräulein.«
    »Ich werde ihn bestimmt fragen«, versicherte sie dem ängstlichen Mann und verließ während eines tiefen Bücklings diesen Heiligen und Kirchenvater, der zwei Konten in London und in Glasgow bei sehr bekannten Buchmachern laufen hatte.
    Der Rennsport begann sie allmählich zu interessieren. Sie war überrascht, wie weit sich das Interesse erstreckte. Sie entdeckte, daß sie eine wichtige Persönlichkeit geworden war, nicht nur in den Augen der Dienerschaft, sondern auch bei den Geschäftsleuten in Somerset, seit Lydia Marton den Steward-Pokal gewonnen hatte. Denn der Butler hatte über seine Wette und sein Glück ausgiebig berichtet.
    Glücklicherweise brauchte sie nach ihrer Heimkehr kein Personal zu entlassen. Lord Frenshams Haushalt war immer sehr klein gewesen. Er hatte niemals einen Diener gehalten, er behauptete, das mache ihn nervös. Die häuslichen Veränderungen verursachten wenig Mühe. Die entfernte Tante in Cumberland hatte einen Brief geschrieben, der jedes Für und Wider erwog, aber doch die Hoffnung nicht ausschloß, daß sie »sehr bald« kommen könne.
    »Die Aussicht auf eine Anstandsdame ist schon so gut wie eine Anstandsdame«, sagte sie Tony am Telefon.
    »Ich mache mir Sorgen, daß Sie allein in dem Haus wohnen, ohne einen Diener. Schicken Sie lieber Ihren Schmuck auf eine Bank.«
    Sie belächelte seine Sorge, schloß aber schließlich mit ihm einen Kompromiß dahin, daß sie den vertrauenswürdigen Chauffeur im Hause schlafen ließ. Die Fragen der Juwelen ließ sie diskret in der Versenkung verschwinden.
    Es gab andere und wichtigere Fragen zu lösen. Sie hatte nun ihr Vermögen in eigene Verwaltung genommen und fand es mager genug.
    Ihre Reise nach Somerset hatte auch das Mysterium der »großen Erbschaft« gelöst, die ihr eines Tages zufallen sollte. Ein kaltblütiger Priester, einer ihrer Cousins, erläuterte ihr mit vielen Einzelheiten — denn er war ein Rechtsfanatiker —, daß die Erbschaft eine etwas nebelhafte Angelegenheit sei, da erst drei Leben dahinschwinden müßten, ehe sie an die Reihe käme. Zwei dieser Leben waren besonders jung und gesund. In Wahrheit hatte sie nie an diese Erbschaft geglaubt, sondern sich mit dem Gedanken getröstet, daß irgendwo in märchenhafter Ferne ungeheure Reichtümer ihrer harrten, die irgendwie eines Tages, ohne Leid für einen Dritten, ihr zufallen würden.
    Am Tag ihrer Ankunft kam Tony zu ihr zum Tee. Sie erklärte ihm genau ihre Lage.
    »Ich glaube, wir können diese sagenhafte Erbschaft aus unseren Betrachtungen ausschalten und lieber überlegen, wie wir für mich eine anständige Arbeit finden. Ich habe Stenografie und Schreibmaschine gelernt; das war Vaters Idee, und ich glaube, ich würde für einen wohlhabenden Finanzmann eine bewundernswerte Sekretärin abgeben.«
    »Der bin ich nicht!« rief Tony prompt. »Und etwas muß ich Ihnen noch sagen«, lenkte er grimmig ab. »Aus einem mir unverständlichen Grund übertrug Ihr Vater auf Ihren Namen alle seine Lulanga-Aktien. Dies geschah am Tag seines Todes.«
    Sie staunte. »Haben sie irgendeinen Wert?« fragte sie.
    »Meiner Meinung nach nicht. Ich bin nur froh, daß sie keine Verpflichtung für Sie enthalten.«
    »Was sagt denn Julian dazu?« fragte sie unvermittelt.
    »Was Julian sagt, ist wohl ganz gleichgültig, Ursula«, erwiderte er mit Nachdruck. »Ich wünsche, daß Sie Julian weder sehen noch ihm schreiben.«
    Sie sah ihn lange Zeit wortlos an, dann senkte sie den Kopf.
    »Gut, Tony, ich will nicht einmal nach dem Grund fragen. Das ist das größte Kompliment, das ich Ihnen machen kann. Es fällt mir übrigens nicht schwer, Julian aufzugeben.«
    Dann war zwischen ihnen eine lange Pause. Als das Schweigen zu lastend wurde, fragte sie leise:
    »Was wollten Sie vorhin sagen, Tony?« und ließ die Augen sinken, ohne recht zu wissen,

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