0696 - Im Bann des Verfluchten
Stäbe gekrallt. Sie merkte, dass die Furcht in ihr hochstieg und dafür sorgte, dass Schweiß aus ihren Poren trat und sich auf ihrem Körper verteilte.
Noch sah sie den Ankömmling nicht, aber für sie stand fest, dass es nicht Edna war.
Die ging anders.
Blieb nur noch eine Möglichkeit. Der Maler.
Diese geheimnisvolle Person, der sie ihre Gefangenschaft verdankte. Noch hatte sie Zeit, um zu überlegen und sich einen Plan auszudenken, wie sie reagieren würde.
Eines stand fest: Sie würde hier nicht die Halbtote spielen oder die Person, die vor Angst in den Boden sank. Sie würde ihm erklären, dass sie anders war, dass er nicht mit ihr machen konnte, was er wollte.
Doch all diese Vorsätze verschwanden, als die Person so nahe herangekommen war, dass sie sie deutlich sehen konnte. Da wusste sie, dass sie die Verliererin in diesem teuflischen Spiel war.
Er sah - ja, wie sah er aus?
Sie dachte über einen Vergleich nach, aber es fiel ihr nur ein sehr simpler ein.
Er sah zum Fürchten aus.
Mit einer Person wie dieser hier jagte man kleine Kinder normalerweise Angst ein.
Er war groß und düster. Selbst als er in den Schein der primitiven Deckenleuchte geriet, änderte sich dies nicht. Er blieb das düstere Wesen mit den langen dunklen Haaren, die sich in Höhe des Nackens zu einer Außenrolle wellten und abstanden. Sein Gesicht war blass, ohne allerdings kalkig zu wirken. Umso dunkler sahen die Augen aus.
Sie konnten niemals stillstehen, sie bewegten sich hin und her, als wäre der Maler dabei, nach irgendwelchen Personen zu suchen, die ihm gefährlich werden konnten.
Seine Kleidung bestand aus einer Mischung zwischen Cape, Mantel und Kittel.
Aber auch sie war düster.
Ein sehr dunkles Grau, das schon beinahe schwarz wirkte.
Colette Mercier dachte daran, dass sie einen Maler vor sich hatte, und Maler trugen bei ihrer Arbeit eine bestimmte Kleidung. Zumeist einen weißen Kittel, dessen Grundfarbe mit einem bunten Muster aus allerlei Farben bekleckst war.
Er nicht.
Er war anders.
Er war das Böse!
Und er blieb dicht vor Colettes Gefängnis stehen. Hätte er die Hand ausgestreckt, so hätte er die Gitterstäbe berühren können, aber er ließ es bleiben und starrte sie nur an.
Der Maler stand so, dass er durch die Zwischenräume schauen konnte.
Er rührte sich nicht, er sprach nicht, er schien auch nicht zu atmen, er hielt den Mund geschlossen und schaute die Frau in diesem verdammten Felskäfig nur an.
Und es war der Blick, vor dem sich Colette fürchtete. Er glitt zwar über ihr Gesicht, dann auch über die gesamte Gestalt, trotzdem hatte sie den Eindruck, als würde er tiefer reichen, sich durch die Kleidung und die Haut fressen, sich von nichts hindern lassen, um ihre Seele auszuloten.
Ein böser, ein sezierender Blick, der ihr Furchtbares versprach, und sie wusste nicht, wo sie hinschauen sollte.
Endlich, nach einer Zeitspanne, die ihr dreimal so lang vorkam, wie sie tatsächlich war, bewegte er seinen rechten Arm und ließ die offene Hand am schimmernden Stoff seines Capes entlang in die Tasche gleiten, wo er die Finger bewegte, um dort etwas zu umklammern.
Er zog die Hand wieder hervor, diesmal zur Faust geballt, und Colette konnte den Blick nicht davon wenden. Deshalb sah sie auch das Lächeln auf seinen Lippen nicht, als er die Faust öffnete und ihr den Gegenstand zeigte, den er aus der Tasche geholt hatte.
Es war ein Schlüssel!
Er schimmerte blank, das Deckenlicht hinterließ auf dem gezackten Bart gelbe Reflexe.
Diesmal hob sie den Kopf.
Ihre Blicke begegneten sich.
Sie sah ihn nicken, und zum ersten Mal durchflutete sie Hoffnung, obwohl sie keine Frage gestellt hatte. Aber der Schlüssel bewies ihr, dass er bereit war, das Gitter zu öffnen, und das wiederum ließ sie aufatmen.
Aber was würde anschließend geschehen?
Colette dachte nicht weiter. Sie wollte einfach nicht daran denken, obgleich sie wusste, dass er mit ihr das Gleiche vorhatte wie mit den anderen drei Mädchen.
Für sie stand fest, dass nur dieser Maler hinter dem Verschwinden der Frauen stecken konnte.
In Hüfthöhe rechts von ihr war ein kratzendes Geräusch. Colette hatte nicht gesehen, dass der Mann den Schlüssel ins Schloss gesteckt hatte, sie hörte nur, wie er umgedreht wurde.
Seine linke Hand griff nach einem Gitterstab, ein leichter Ruck, ein kurzes Zerren - die Tür war offen.
Sie schwang ihm entgegen, in den Gang hinein. Er wich gleichzeitig zurück, sodass die Frau den nötigen Platz hatte, um
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