0698 - Der Ghoul aus dem Gully
abgenommen. Er bestand aus einem grauen Material, besaß einen breiten Rand, dessen Gewicht durch die aufgesaugte Flüssigkeit schwer geworden war.
Auf die Einrichtung hatte er keinen Wert gelegt. Das alte Sofa hätte sich nicht einmal für den Sperrmüll geeignet, der Tisch wackelte, der Stuhl ebenfalls, aber das war demjenigen, der hier sein Dasein fristete, völlig egal.
Es gab andere Dinge, viel wichtigere. Er mußte seinen Hunger stillen, der immer größer wurde.
Er setzte sich auf das Sofa, nahm seinen Hut ab und legte ihn neben sich.
Nicht ein Haar wuchs auf seinem Kopf. Der Schädel sah aus, als würde er jeden Tag rasiert. Seine dunklen Augen lagen dermaßen tief in den Höhlen, daß es schon unnatürlich wirkte. Die bleichen Hände mit den langen Fingern befanden sich ständig in Bewegung. Er knetete die Finger, er zerrte an ihnen, er drückte sie zusammen, und es sah so aus, als wären sie aus Gummi.
Tatsächlich aber war die Haut unnatürlich weiß und auch weich. Als bestünde sie aus Schleim…
Dann strich er über sein Gesicht. Mit den Handflächen fuhr er an den Wangen hoch. Als er die Hände wegnahm, zog er Fäden, so daß sich die Schädelplatte bewegte. Alles schien sich in Auflösung zu befinden, und ein widerlicher, kaum zu beschreibender Gestank umwehte die Gestalt.
So rochen also faulige Leichen. Er brauchte sie als Nahrung. Auf dem Friedhof fand er keine mehr.
Noch ein, zwei Wochen, dann würde er sein Versteck dort verlassen und sich ein anderes suchen.
Aber noch war es wichtig für ihn, denn dieses kleine Haus besaß einen bestimmten Zugang, den ein Besucher so schnell nicht finden würde. Den Zugang zu seiner Welt.
Je länger er auf dem Sofa hockte, um so unwohler fühlte er sich. Er trug einen alten, weitgeschnittenen Pullover, dessen Saum er jetzt hochhob, um die Hände drunterschieben zu können. Nicht wenige Stellen an seinem Oberkörper juckten, sie warfen sogar Blasen, und gleichzeitig bildeten sich rötliche Pusteln und Geschwüre, die er aufkratzte.
Zurück blieb eine schleimige Flüssigkeit, die sich auf seinem Körper verteilte und auch vor dem Gesicht nicht haltmachte. Der Schleim drückte sich aus den Poren hervor, er rann über die Haut, er floß dem Kinn entgegen, er sonderte einen entsetzlichen Gestank ab, der den gesamten Raum ausfüllte.
Der Mann stand dicht vor der Verwandlung zum Monstrum.
Mühsam drehte er sich herum.
Er schaute aus dem Fenster.
Der Tag sah aus wie die Nacht.
So grau, so düster…
Für ihn gerade richtig.
Schwerfällig stand er auf. Er schaute auf seine Füße, wo der Schleim bereits aus den Schuhen kroch.
Wütend zerrte er die Slipper von den Beinen und warf sie weg.
Es schmatzte und klatschte, als er seinen nackten Schleimfuß auf den Betonboden setzte.
Die Augen bewegten sich, der Mund hatte sich vergrößert, Lippen waren kaum noch zu sehen, dafür klaffte eine viereckige Öffnung, in der die scharfen Zähne wie die Zinken eines Kamms standen.
Mit diesen Zähnen konnte er beißen, reißen, zerknirschen und vernichten.
Dann ging er gebückt weiter. Neben einer kleinen Truhe blieb er stehen. Seine Bewegung wirkte heftig und unkontrolliert, als er den Deckel aufriß.
Fotos lagen in der Truhe.
Jedes von ihnen war mit einer Sofortbildkamera geschossen worden. Sie alle zeigten Mädchen, junge Frauen. Die meisten von ihnen nur leicht bekleidet.
Seine nächste Beute…
Er schloß den Deckel wieder und gab einen Laut des Triumphes von sich. Der hörte sich an, als würde aus seinem Mund Wasser hervorblubbern.
Dann hatte er es sehr eilig. Auf der Stelle drehte er sich herum und hob die graue Klappe an.
Sie war der Deckel zu einem düsteren Schacht, und der wiederum stellte die Verbindung zu der Welt des unheimlichen Ghouls dar.
Leise schmatzend verschwand er in seinem Reich…
***
»Willst du auch eins?« fragte Harry Stahl.
»Was ist das?«
Er hob die Schultern und knisterte mit Fettpapier, als er den Inhalt davon befreite. »In der Bäckerei nennen sie es neuerdings Sandwich. Ich sehe es eher als ein belegtes Brötchen an. Zwei davon habe ich mitgebracht. Du kannst eins essen.«
»Ja gut.«
»Käse oder Wurst?«
»Wenn ich schon die Wahl habe, dann Käse.«
»Bitte sehr.«
Zu trinken hatte der Kommissar ebenfalls besorgt. Der Kaffe befand sich in einer großen Thermoskanne, die auf dem Tisch neben uns stand. Wir saßen uns gegenüber, und der Kommissar hatte es tatsächlich geschafft, einen Wohnwagen zu
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