0699 - Das Erwachen der Hexe
nicht fassen, dass sich die Vögel derartig anders benahmen.
Selbst durch das dicke Glas hörten wir ihr wütendes Kreischen. Noch tobten und flatterten sie über den Bäumen, diese Stelle allerdings war nur mehr zu einem Sammelort für sie geworden, denn sie hatten ein anderes Ziel.
Die Wolke löste sich auf, um sofort danach eine Veränderung zu erfahren, denn nun flogen sie dicht nebeneinander und bildeten eine breite Kette, die zum Angriff überging.
Das Ziel war das Haus!
Tricia zog sich zurück. Ich hielt sie fest, und gemeinsam schauten wir zu, wie das breite Band der Vögel gegen die Scheibe des Wintergartens flog. Nun stand auch für mich fest, dass Tricia Recht behalten hatte. Die Magie der Schattenkirche war nicht verschwunden. Sie hatte sich noch gehalten, sie würde auch weiterhin die Kontrolle über Tricia Bell bekommen wollen, und sie bewies ihr, wie stark sie die Natur manipulieren konnten.
Wir zuckten zusammen, als die Tiere von der Scheibe gestoppt wurden. Eigentlich hätten sie zu Boden fallen und dort tot liegen bleiben müssen, das aber geschah nicht. Sie hackten mit ihren Schnäbeln gegen das Glas, ohne es allerdings durchbrechen zu können.
Die ersten Tiere bekamen von den anderen Druck, rutschten am Glas entlang zu Boden, beschmierten es, aber sie erhoben sich wieder und flatterten in die Höhe, um sich gleich darauf zu einem neuen Angriff zu formieren.
»Das ist sie!«, flüsterte Tricia. »Verdammt, das ist die Rache der Schattenkirche!«
Ich konnte ihr leider nicht widersprechen und fragte mich, wie lange das Glas dem Ansturm der Vögel wohl noch standhalten konnte. Es war sicherlich kein Panzerglas, jedenfalls mussten wir uns etwas einfallen lassen, diesem Terror wollte ich nicht länger als möglich ausgesetzt sein.
Ich nickte Tricia zu, die meine Bewegung nicht mitbekam, weil sie wie angenagelt auf dem Fleck stand. Sie hatte nur Augen für die gewaltige Wolke, und als ich sie zurückzog, dabei ihren Blick sah, da erschrak ich mich doch, denn in den Pupillen lag auch noch etwas anderes, das schwer zu beschreiben war.
Es kam mir vor wie ein Sehen nach innen hinein, ein optisches Tasten in die Unergründlichkeit der Seelen, das Hineinstarren in das Unsichtbare, wo sich etwas formte, das nur allein für sie sichtbar war. Noch zeigten ihre Gesichtszüge keine Bewegung, doch allmählich, mit dem Fortlauf der Sekunden, breitete sich der Schrecken darauf aus. Es war noch nicht die panikartige Angst, eher der sanfte Schrecken, der sie überfallen hatte, aber auch ein bestimmtes Wesen, das nur ihr und nicht mir bekannt war.
Ich zerrte an ihrem Arm. »Tricia, kommen Sie! Wir müssen weg! Sie brauchen nicht mehr zu packen!«
Die Frau schüttelte den Kopf.
»Bitte, Tricia!«
»Lass mich!«
Es war mir, als hätte sie mit einer fremden. Stimme gesprochen, und allmählich verspürte auch ich Furcht, denn ich merkte, wie stark die anderen Kräfte waren.
Der Wind in dem kleinen Garten war zu einem regelrechten Sturm geworden, der die Bäume schüttelte, der wütend gegen die Rückseiten der Häuser fuhr, als wollte er sie zerschmettern und nur seine böse Botschaft gelten ließ.
Die Vögel kreischten, sie schrieen, sie führten einen verrückten Tanz auf, sie warfen sich gegen das Glas, ohne es durchbrechen zu können. Sie wurden von den Sturmböen erfasst, zurückgeschleudert oder in die Höhe geworfen, aber sie formierten sich stets zu neuen, harten und wütenden Attacken.
Ich erkannte Tricias Gesicht kaum wieder. Die Angst hatte es gezeichnet und grau gemacht. Ihre Lippen waren so blass, dass sie kaum auffielen. Sie hielt den Mund jetzt offen, ich hörte Laute, die unmenschlich klangen.
Noch immer hielt sie das Kreuz fest.
Es schaute aus ihrer Faust hervor wie ein silberner Rettungsanker. Noch konnte sie sich daran klammern, noch gab ihr das Zeichen des Guten und des Sieges über das Böse die Hoffnung, die sie unbedingt benötigte, aber die Angst hatte trotzdem den Weg zu ihr gefunden.
Für mich stand fest, dass wir das Haus verlassen mussten, obwohl draußen Gefahren lauerten. Allerdings hoffte ich, mich ihnen entgegenstemmen zu können und rechnete auch nicht mit einem Angriff der entarteten Vögel, denn sie blieben nach wie vor an der Rückseite.
Gemeinsam stolperten wir in den Flur. Ich hörte Tricias Keuchen. Es war auch nicht mehr die Zeit, einen Koffer zu packen, selbst eine Strickjacke oder einen Mantel, nahmen wir nicht mit. Wir mussten weg, das war die einzige
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