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0709 - Märchenfluch

0709 - Märchenfluch

Titel: 0709 - Märchenfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Stahl
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Laut entfuhr, der Ansatz eines jammervollen Lachens.
    Herr im Himmel! Lass diesen Wahnsinn aufhören! schrie es in ihm.
    Aber das Mädchen blieb. Saß da und sah ihn aus großen Augen an, als wollte es fragen: Und was jetzt?
    Und genau diese Frage stellte er sich selbst.
    Was jetzt? Was um alles in der Welt sollte er bloß tun?
    »W - wo«, begann er stockend, »kommst du her?«
    Sie hob die Schultern und zeigte ein trauriges Lächeln. »Ich weiß es nicht.«
    Stagg versuchte es anders. »Du bist doch nicht einfach vor meiner Tür aufgetaucht, oder?«
    »Nein… Aber der Ort, von dem ich kam«, sie schüttelte den Kopf, »der war mir auch fremd. Und vorher…«
    Stagg sah, wie ihre Miene erst nachdenklich wurde und wie sich stückchenweise etwas anderes hineinzuschleichen begann. Erst leises Erschrecken, und dann leuchtete schiere Angst in ihren dunklen Augen.
    »Da waren diese…«, sie keuchte, »Diese schrecklichen… Ich weiß nicht, was sie waren, aber…«
    In Staggs Brust klopfte das Herz plötzlich wie eine wütende Faust, die heraus wollte.
    Er ahnte nicht nur, was das Mädchen meinte, nein, er wusste es. Schließlich hatte er auch das erschaffen, was ihr jetzt in der Erinnerung noch so fürchterliche Angst einjagte.
    Die sieben Zwerge, natürlich.
    Nur waren sie in Staggs Version des Märchens keineswegs hilfreiche, harmlose und liebenswerte kleine Gesellen gewesen, die der Königstochter Unterschlupf gewährt hatten, nachdem der Jäger sie auf Geheiß der bösen Königin zwar nicht getötet, aber immerhin im Wald ausgesetzt hatte. O nein, in seiner Geschichte war Schneewittchen vom Regen in die Traufe geraten!
    Düsterste, abseitige Schauermärchen hatte er damals geschrieben, für die er sich heute geschämt hätte, würde sie jemand zu Gesicht bekommen, ganz unabhängig von diesen Schrecken, die offenbar daraus erwachsen waren.
    Seine Zwerge hatten nichts mehr mit denen der Brüder Grimm gemein gehabt.
    Boshafte, gemeine Gnome hatte er aus ihnen gemacht, mit perversen Gelüsten, und Schneewittchen hatte sich manches Mal gewünscht, dass der Jäger ihr das Herz herausgeschnitten hätte, damit ihr die Begegnung mit diesen widerlichen Kreaturen erspart geblieben wäre.
    Stagg schauderte. Wenn sie ihren kleinen Peinigern entkommen war, stand dann nicht zu befürchten, dass sie nach ihr suchten?
    Die Wirklichkeit war schneller als Staggs Gedanken.
    Er wusste, dass sie da waren, noch bevor er sie sah.
    Er spürte ihre Blicke. Sie bohrten sich ihm wie Messerspitzen in die Haut. Und so wunderte es ihn nicht einmal, als er die zwei Gesichter an einem der Fenster sah.
    Nur zwei…
    Wo die anderen waren, erfuhr er noch im selben Moment.
    Drunten an der Tür wurde Lärm laut. Schläge hieben dagegen. Das Holz knarrte und splitterte, als sie sich Einlass verschafften. Gleichzeitig zersprang die Fensterscheibe.
    Und dann kamen sie. Das Mädchen begann gellend zu schreien, weil es aus leidvoller Erfahrung wusste, was sich hinter den harmlos scheinenden Gesichtern verbarg.
    In der Tat wirkten die sieben kleinen Gestalten, die wie auch das Mädchen vor Nässe trieften, auf den ersten Blick überhaupt nicht gefährlich. Stagg hatte ihnen ein elfenhaftes Aussehen gegeben und jedem ein ganz eigenes, fast kindliches Gesicht.
    Ihre Augen jedoch, die stechenden Blicke kündeten schon von ihrer Bösartigkeit. Von ihren Waffen, Dolche, Äxte und dergleichen, ganz zu schweigen.
    Die kleinen Teufel zischten wie Schlangen, während sie lauernd näher kamen, die Waffen stoßbereit in den kleinen Fäusten. Stagg vermochte nur nach und nach einzelne Worte aus dem schaurigen Chor herauszuhören. Sssie- gehörrrt- unsss! Gibsssieunsss! Wirrr- holen- sssie- zzzurrrück! Dann waren sie da. Verzerrten die Gesichter zu abscheulichen Fratzen. Rissen die Mäuler auf und bleckten Reihen spitzer kleiner Reißzähne, die wie zugefeilt aussahen.
    Ach ja, fiel es Stagg wieder ein, und er fand es schrecklich komisch - in seiner Variante des Märchens waren die Zwerge zu allem anderen auch noch Kannibalen gewesen…!
    Im selben Augenblick stürzten sie sich auf ihn.
    Und dann tat es auch schon entsetzlich weh - überall!
    ***
    »Mory hat dieses Porträt von mir gezeichnet!«, sagte Miss Lucinda, das gerahmte Bild in der Hand. »Ist lange her, muss in den Zwanzigern gewesen sein.«
    »Mory?«, hakte Zamorra nach. »Amory heißt er eigentlich«, erklärte Miss Lucinda. »Amory Stagg. Er war ein Freund meines Bruders. Und ich glaube, er hat ein

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