0711 - Die Psycho-Bombe
sie es nicht sehen konnte. »Ja, das verspreche ich dir, Sarah.«
»Dann bis später.« Sie legte auf. Meine Hand hatte auf dem Kunststoff einen feuchten Schweißfilm hinterlassen.
Glenda schaute mich an. »Du solltest trotz allem deinen Kaffee nicht kalt werden lassen.«
»Ja, schon gut. Aber ist das wichtig?« Die letzte Frage war mir so herausgerutscht, und Glenda reagierte ziemlich sauer.
»Ich-weiß, daß dir Sukos Schicksal auf den Magen schlägt. Und glaube mir, es ergeht mir auch nicht anders, aber eines möchte ich festhalten. Ich denke, daß wir jetzt alle unsere Nerven behalten müssen, und nicht ungerecht sein dürfen. Es geht um Suko, da müssen wir unsere Probleme hintanstellen. John, bitte, ich denke, wir sollten normal miteinander umgehen und versuchen, so weiterzumachen wie bisher. Sonst tun wir Suko keinen Gefallen. Davon wird einzig und allein die andere Seite profitieren.«
Ich hatte sie angeschaut, lächelte verlegen, hob die Schultern, gab ihr recht und entschuldigte mich.
»Das brauchst du gar nicht, John. Auch ich hätte durchdrehen können, als ich heute morgen das Büro betrat. Es kommt mir auch jetzt noch immer leer vor, obwohl wir schon öfter allein gewesen sind, wenn Suko unterwegs war. Aber das hier ist etwas anderes.«
»Sicher.«
Glenda hatte sich auf Sukos Platz gesetzt. Auch sie beschäftigte sich mit dem Kaffee. Beide hingen wir unseren Gedanken nach. Es sprach keiner, aber innerlich beschäftigten wir uns bestimmt mit denselben Problemen.
Was war zu tun?
Ich hatte die Tasse geleert und hob den Kopf, als könnte ich in Glendas Gesicht die Lösung finden.
Dann zuckte ich zusammen.
Glenda Perkins war totenbleich geworden, die Augen riesengroß; der Mund stand vor Schreck offen.
»Was ist denn?«
Sie gab keine Antwort, hob im Zeitlupentempo den Arm und deutete an mir vorbei.
Hinter mir lag das Fenster. Wenn sie etwas sah, dann dort.
Ich wirbelte herum - und sah das Unglaubliche…
***
Nico war in London! In der City, in der Innenstadt, die er früher nicht oft besucht hatte, weil es in den einzelnen Stadtteilen mehr für ihn zu holen gab.
Aber jetzt hatte er sein Ziel fast erreicht und ließ sich vom Strom der Menschen treiben.
Nach der Zerstörung des Schiffes hatte er noch sehr lange nachgedacht. Dabei war ihm immer ein Begriff in den Sinn gekommen, den Cigam zuerst erwähnt hatte.
Psycho-Bombe!
Noch vor einem Tag hätte er mit diesem Begriff nicht viel anfangen können, jetzt aber dachte er immer mehr darüber nach. Eine genaue Erklärung wußte er auch nicht, doch in seinen Gedanken sah er allmählich klarer. Es gab diese Psycho-Bombe, sie lief sogar durch London und bewegte sich auf zwei Beinen.
Er war die Bombe!
Ihn durchzuckte keine Furcht mehr davor, denn all die Menschen, die ihn umgaben, die seine Feinde waren, würde er dank seiner Kräfte vernichten können.
Nicht nur die toten Gegenstände konnten unter seine Kontrolle geraten, auch die lebenden.
Bisher hatte er seine Kräfte noch nicht eingesetzt. Er fiel auch nicht großartig auf zwischen all den Gestalten, die sich durch die U-Bahn-Station bewegten, denn London ist eine bunte Stadt, in der sich alle Rassen der Welt treffen.
Und morgens im Berufsverkehr, da kam eben alles zusammen, da trafen die Citybanker auf Verkäuferinnen, Sekretärinnen auf Arbeiter und Schüler.
Aber auch die Menschen, die nicht dazugehörten und in den Schächten der U-Bahn-Station hockten.
Sie waren diejenigen, die von der Hand in den Mund lebten, so wie Nico es einmal getan hatte und es eigentlich noch immer tat, aber unter anderen Voraussetzungen.
Er sah es als ein kleines Wunder an, daß es gerade ihn getroffen hatte und nicht einen der Typen aus den Schächten. Er war derjenige gewesen, auf den der Finger des Schicksals gewiesen hatte.
Noch vor einem Tag um diese Zeit da hatte er sich ebenfalls so gelangweilt gegeben. Nun aber fühlte er sich besser. Da war er durch die Macht des Teufels letztendlich in die Höhe katapultiert worden.
Er wollte den letzten Rest der Strecke mit der Bahn fahren, denn nun hatte er ein Ziel.
Es war ihm urplötzlich eingefallen. Er konnte nicht davon ausgehen, daß es auf seine eigene Initiative geschehen war, denn urplötzlich hatte er so etwas wie eine Eingebung bekommen. Sie war blitzartig dagewesen, schon vergleichbar mit einem Befehl, und der jugendliche Waise wußte genau, wohin er zu gehen hatte.
Es war zunächst kein Haus, sondern eine bestimmte Straße, die sehr vielen
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