0712 - Satan von Kaschmir
einige Dinge nicht geändert.«
»Was meinst du?«, wollte der Dämon wissen.
»Die Berge sind dieselben wie zu der Zeit, als dieser Asket uns bezwang«, fauchte die schwarzblütige Großkatze. »Und die Menschen mögen seltsame Maschinen haben. Doch sie bluten und krepieren, wenn wir ihre Dörfer überfallen. Und sie werden zerquetscht, wenn deine mächtige Magie ihre Eisenvögel gegen die Felswände schleudert! Was können diese sterblichen Würmer ausrichten gegen dich, großer Gubhar?«
»Das stimmt!«, griente Gubhar. Es gefiel dem Satan von Kaschmir, wie Kela seine große dämonische Macht bewunderte.
»Und doch«, fuhr der Panther nach einer Pause fort, »lauert Gefahr auf uns.«
»Was für eine Gefahr?« Gubhar warf seinen behelmten Schädel in den Nacken und lachte schaurig. Einige Lawinen gingen ab. »Kela, die Knochen dieses Asketen sind längst vermodert. Ich weiß nicht, wie viel Menschenzeit vergangen ist, seit er uns gebannt hat. Aber diese Narren in der Höhle haben den Buddha zerstört, der uns dort gefangen hielt. Wir sind frei!«
»Das stimmt«, bestätigte die dämonische Raubkatze. »Aber es gibt eine neue Gefahr.«
»Wen meinst du? Mönche, die dem Buddha huldigen? Wir können über sie kommen und ihre heiligen Plätze vernichten! Die Sterblichen sind feige und ängstlich, Kela. Dieser Asket damals war eine große Ausnahme. Solche Menschen gibt es in tausend Jahren nur einmal!«
»Das mag sein«, gab der Panther zu. »Und doch muss sich solch ein Mensch irgendwo in Kaschmir aufhalten. Spürst du es denn nicht, großer Gubhar?«
Eine lange Zeit blieb die Frage unerwidert. Der Satan von Kaschmir saß auf dem Rücken seines unheimlichen Reittieres und starrte vor sich hin. Sein dämonischer Blick drang durch die unvorstellbar großen Gesteinsmassen des Himalaja.
»Ja, ich fühle es, Kela. Ein Mann und eine Frau. Sie sind in die Stadt der Menschen gereist, die Srinagar genannt wird. Es sind Fremde, die aus dem fernen Westen kommen. Und sie haben eine starke Magie.«
»Kein Zauber ist so mächtig wie der deinige«, schmeichelte die Raubkatze.
»Das stimmt«, griente der Dämon und drückte sich den Helm fester auf seinen gräßlichen Schädel. »Und darum werden wir nun diese Fremden in Kaschmir willkommen heißen…«
***
Dal-See, Srinagar, Kaschmir, Indien
Das Hausboot ankerte im Paradies.
Jedenfalls kam es Nicole Duval so vor, als sie auf das Vordeck trat und den Ausblick auf sich wirken ließ.
Sona Lank, die Silberinsel, und Rupa Lank, die Goldinsel, wurden von der Hochgebirgs-Sonne beschienen. Kleine Boote,, die hier Shikaras genannt wurden, flitzten zwischen den Hausbooten hin und her. An Bord waren Händler, die Mahlzeiten, Tee, heißes Wässer und andere nützliche Dinge anboten.
Das Wasser des riesigen Sees war klar und tiefblau. Kaum zu glauben, denn alle Hausboot-Mieter warfen ihren Abfall direkt in das Gewässer. Hunderte von Hausbooten lagen zwischen dem Nehru Park und dem Hotel New Rigadoon vertäut.
Zamorra hatte eines davon gemietet. In einem Luxushotel konnten er und Nicole jetzt nicht aufkreuzen, da sie das Straßenkind dabei hatten.
Auch der Vermieter des Hausbootés war von Ali Jamas Anblick alles andere als begeistert gewesen. Doch der Parapsychologe hatte mit einem dicken Rupienbündel die Bedenken des Mannes zerstreut.
Nicole riss sich von dem Ausblick los und kehrte zurück in den Hauptraum des Bootes. Er war im britischen Stil der Dreißigerjahre möbliert. Außerdem gehörten noch drei Schlafzimmer und zwei Bäder dazu. Eine Küche gab es nicht. Die Mahlzeiten wurden drei Mal täglich vom Vermieter per Boot gebracht.
Zamorra saß in einem Klubsessel. Ihm gegenüber hatte sich der Junge schweigend auf ein durchgesessenes Ledersofa gekauert.
Nachdem die Dämonenjäger den kleinen Dieb gestellt und entwaffnet hatten, war jede Aggressivität von ihm abgefallen. Er wirkte passiv, fast lethargisch.
Bisher wussten sie von ihm nicht mehr, als dass er Ali Jama hieß.
Ein blökendes Hupen ertönte. Der Vermieter, ein beleibter Inder mit Turban, kehrte noch einmal zurück. Er brachte das Abendessen.
Ali Jama riss die Augen auf, als er Nicole mit dem warmen Fladenbrot, dem Lammcurry, dem Chutney, Safranreis und heißem Tee hereinkommen sah.
»Greif nur zu!«, ermutigte ihn die Französin.
Nicole hatte dem Jungen den Diebstahl schon längst verziehen. Sie musste nicht ihre telepathischen Fähigkeiten einsetzen, um zu begreifen, dass Ali im Grunde seines
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