072 - Die Schlangengöttin
ein Stück die Straße hinab, darin kehrte ich um und ging in die andere Richtung. Das abgebrochene Stuhlbein hatte ich immer noch in der Hand. Ein paar Passanten sahen mich deshalb merkwürdig an.
Ich wollte meinen Ohren nicht trauen, als ich aus der nächsten Seitengasse Flötenspiel hörte. Ich bog in die Gasse ein und sah mich den sieben Burnusträgern mit den bemalten Gesichtern gegenüber. Sie starrten mich ebenso an, wie ich sie.
Ich zögerte einen Moment, dann ging ich entschlossen auf sie zu. Ehe ich noch ein Wort sagen konnte, liefen sie plötzlich davon. Einer warf mir einen runden Weidenkorb vor die Füße. Der Deckel flog auf und Schlangen schlängelten heraus auf die Straße.
Ich sprang über sie hinweg und verfolgte die Burnusträger. Sie liefen wie die Hasen; ihre Burnusse um flatterten sie. Die Gassen der Altstadt waren eng und verwinkelt. Ich kannte mich hier nicht aus. „Stehenbleiben!" rief ich auf griechisch. Ich beherrschte diese Sprache gut genug, um mich verständigen zu können. „Haltet die Mörder!"
Ein paar Frauen, die vor den Häusern auf Stühlen saßen oder aus den Fenstern schauten, zeterten und keiften. Männer riefen und stellten Fragen, die zu beantworten ich keine Zeit hatte. Keiner rührte eine Hand, um die Burnusträger aufzuhalten.
Ich war hinter einem von ihnen her. Bei einem kleinen freien Platz vor einem Straßencafe holte ich ihn ein. Ich hechtete vor und packte seine Beine. Er fiel und blieb ein paar Augenblicke liegen.
Ich klopfte ihn ab, denn mir war gut in Erinnerung, was Thomas Becker gesagt hatte: Ein Burnusträger hatte zwei Giftschlangen aus seinen Ärmeln gleiten lassen.
Tatsächlich spürte ich einen festen, langen Körper unter seinem Burnus an der linken Seite. Ein Zischen war zu hören; der Körper wand sich. Es war eine Schlange.
Bevor ich noch irgend etwas tun konnte, wurde ich plötzlich angegriffen. Ein Mädchen, ebenfalls mit einem Burnus bekleidet, das bemalte Gesicht unverschleiert, lief über den Platz und versuchte, mir das Gesicht zu zerkratzen.
In der Nähe war ein Straßencafe. Schnurrbärtige Männer sahen staunend der Szene zu, die sich da vor ihnen abspielte.
Ich stieß das Mädchen zurück. Vielleicht hatte auch sie Schlangen unter dem Burnus. Sie kam immer wieder. Der Burnusträger, den ich zu Fall gebracht hatte, raffte sich jetzt wieder auf. Ich glaubte, er würde in den Kampf eingreifen, aber nach einem kurzen Blick auf mich und das Mädchen rannte er davon.
Wieder ging das schwarzhaarige Mädchen auf mich los. Normalerweise mochte sie recht hübsch sein, aber mit dem bemalten, verzerrten Gesicht sah sie wie eine Furie aus. Ich mußte damit rechnen, daß sie eine Schlange bei sich hatte. Mit dem Stuhlbein wollte ich sie nicht schlagen. Ich ließ es fallen und gab ihr eine schallende Ohrfeige. Sie schüttelte den Kopf, hielt inne und ihre Gesichtszüge glätteten sich.
Sie sah mich erstaunt an und fragte: „Wo bin ich? Wie komme ich hierher?"
Es war, als sei sie aus einem tiefen Schlaf oder einer Trance erwacht.
„Weißt du das nicht?" fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf.
„Sieh erst mal nach, ob du nicht irgendwelche Schlangen unter dem Burnus hast!"
„Schlangen?"
Sie tastete sich ab. Auf einmal stieß sie einen gellenden Schrei aus. Etwas zischte, und dann glitten zwei Schlangen unter ihrem Burnus hervor, eine große und eine kleine. Ich erschlug die große, die kleinere entkam zwischen zwei Häusern.
„Haben die Biester dich gebissen?" fragte ich.
„Ich glaube nicht."
„Gut, dann komme ich mit."
Vom Straßencafe kamen jetzt ein paar Männer herbeigerannt. Sie wollten wissen, was los sei. „Nichts mehr", sagte ich und zog das Mädchen mit mir davon.
Sie folgte mir ohne Widerstreben.
„Wie heißt du?" fragte ich, als wir uns einige Schritte entfernt hatten.
„Xenia", antwortete sie verschüchtert.
„Jetzt erzähl mir erst mal, woran du dich erinnerst! Wer bist du, wo kommst du her und wie bist du unter diese Schlangenbändiger geraten?"
„Mein Name ist Xenia. Ich bin eine Waise. Ich lebe wie die Hippies. Irgendwie komme ich immer durch." Sie lächelte schwach. „Jedenfalls bin ich bis jetzt noch nie verhungert. Ich erinnere mich, daß ich mich wieder einmal bei den Hippies in den Höhlen des Hephaistos-Berges umsehen wollte. Ich besuchte Malcolm Prattens Wohnhöhle und wartete auf ihn. Malcolm ist ein netter Kerl. Wir hatten uns ein paarmal unterhalten. Malcolm kam dann auch, und plötzlich waren
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