0722 - Böser Zauber in Montmartre
alles klappte wunderbar. Ich verdiente Geld, es sprach sich herum, wer ich war, und schon sehr bald musste ich mir eine Wohnung mieten, wo ich die Leute empfangen konnte.
Es ging gut, bis zu einem Tag, den ich nie im Leben vergessen werde. Es war später Nachmittag, draußen lauerte bereits die Dunkelheit, und ich erhielt einen Anruf.
Die Stimme klang alt. Ich wusste, dass die Frau alt war. Ich hatte sie noch nie gesehen, aber ich kannte alles von ihr. Zwischen ihr und mir existierte plötzlich ein Band, ich fühlte Sympathie, und schon ihre ersten Worte bestätigten mich darin.
»Ich habe lange genug auf eine Gelegenheit wie diese gewartet«, flüsterte sie. »Endlich habe ich die Person gefunden, die würdig ist, mein Erbe zu übernehmen.«
»Und was ist das?«
»Etwas sehr Wertvolles. Etwas, das man nicht kaufen kann. Es ist einfach großartig.«
»Kein Geld?«
Die Stimme klang entrüstet. »Um Himmels willen, doch kein Geld! Wie kannst du so etwas nur denken?«
Yannah hob die Augenbrauen. »Es ist auch nur eine kurze Frage gewesen, entschuldigen Sie.«
»Schon vergessen. Ich möchte Sie aber bitten, so schnell wie möglich zu mir zu kommen.«
»Wann?«
»Noch heute.«
»Und Sie leben in Paris?«
»Ja, mein Kind. Seit meiner Geburt. Aber das ist nicht wichtig. Ich wohne am Fluss, dort, wo sich auch die Studenten hin verzogen haben. Du kennst es?«
»Ja - Quai de Stalingrad.«
»Genau dort.«
»Und wie finde ich dich?«
In der Leitung knackte es. »Frage einfach nur nach Simone. Nach der alten Simone.«
»Das reicht?«
»Sicher.« Sie hustete trocken. »Aber beeil dich, mein Kind. Ich habe nicht viel Zeit. Das Böse ist nah, sehr nah sogar. Es wird bald zugreifen…«
Mit diesen Worten legte sie auf und ließ eine erstarrt dastehende Yannah zurück. Sie hatte eine Gänsehaut bekommen und dachte über den Anruf nach.
Hatte sie da jemand auf den Arm nehmen wollen? So ganz schloss sie dies nicht aus. Doch die Stimme hatte nicht so geklungen, und sie konnte sich auf ihre Intuition verlassen. Da war ein Mensch in Not, da wollte er kurz vor seinem Ableben noch etwas richtig stellen und hatte sich ausgerechnet sie ausgesucht.
Simone hieß die Frau.
Yannah überlegte. Den Namen hatte sie zwar schon gehört, aber sie kannte keine ältere Simone, die meisten Personen dieses Namens, die sie kannte, befanden sich in ihrem Alter.
Die Spannung wuchs, aber auch eine gewisse Befürchtung. Sehr optimistisch hatte sich die Stimme nicht angehört. Simone musste unter einem Druck stehen, der von irgendeiner anderen Kraft kam und dem sie nichts entgegensetzen konnte.
Wer war es?
Yannah dachte sofort weiter. Ihr fielen die Kräfte ein, die andere Welten beherrschten, doch das war ihr zu allgemein. Sie musste auf einen konkreteren Punkt kommen.
Sie nahm an diesem Abend ihr Rad. Einen alten Drahtesel, den sie einmal von einer Kundin geschenkt bekommen hatte. Sie brauchte die frische Luft, sie wollte die Gedanken frei haben, sie hatte inzwischen den Eindruck gewonnen, dass dieser Anruf für ihr weiteres Leben entscheidend sein würde. Mit dem Rad rollte sie in Richtung Seine. Sehr gern fuhr sie am Ufer dieses Flusses entlang, auch wenn das Wasser manchmal stank wie eine Kloake.
In dieser Nacht war es nicht so. Der Wind brachte die nötige Frische, um andere Gerüche zu vertreiben. Er wehte gegen die Radlerin und ließ ihre Kleidung flattern.
Es war später September. In den letzten Tagen hatte noch die Sonne geschienen, aber das Wetter sollte bald wechseln. Da saß man nicht mehr draußen und diskutierte oder feierte miteinander.
Die ersten Blätter wurden von den Bäumen gerissen und wehten der jungen Frau entgegen. Manchmal erwischten sie Yannah auch und berührten sie wie feuchte Lappen.
Am Quai de Stalingrad hatten die Studenten ihr Viertel. Allerdings nur diejenigen, die es sich leisten konnten, denn es gab keinen Fleck in Paris, der nicht teuer war.
Hier glichen manche Häuser großen Gartenlauben, und zahlreiche Studenten teilten sich eine Laube.
Es gab viel Grün, der Fluss war in der Nähe. Angler hockten oft in der Sonne, ein Stück Romantik in Paris.
Yannah war von der Uferstraße abgebogen und näherte sich dem Gelände von der Rückseite her.
Sie radelte durch schmale Wege, die von Hecken gesäumt waren, sie nahm den frischen Geruch in sich auf, sie sah die Lichter durch das Grün schimmern, hörte hier und da eine Stimme, aber auch Musikfetzen klangen an ihre Ohren.
In dieser Gegend hätte
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