0726 - Krematorium der Angst
änderte sich dies ein wenig. Wir erreichten einen breiten Weg, dessen kleines Pflaster bläulich schimmerte.
Die viereckigen Steine lagen dicht beisammen. Niemand hatte sie aus der Erde geholt und Schlaglöcher hinterlassen. Ein Zeichen dafür, daß die Verbrennungsanstalt sehr wichtig war.
Und natürlich der Schornstein. Er überragte das viereckige Gebäude. Vorhin hatte der Hüter von einem Licht oder einer Beleuchtung gesprochen, das Versprechen konnte er nicht einhalten, denn der Schornstein ragte nach wie vor in die wattiggraue Dunkelheit hinein, ohne daß auch nur an einer seiner Seiten ein Licht aufgezuckt wäre.
Ich schaute hoch.
Wind trieb über den freien Platz. Er schien aus irgendwelchen unheiligen Tiefen zu stammen und brachte die widerlichsten Gerüche mit, die meine Nase umspielten.
Auch den Moder roch ich.
Dieser Geruch trieb ebenfalls auf mich zu, nur nicht vom Wind gebracht, denn der Hüter stank so.
»Du riechst nach Leiche«, hielt ich ihm vor.
»Ich weiß.«
»Was ist der Grund?«
Wieder antwortete er knapp und sprach gegen den heranwehenden Wind. »Ich liebe die Toten.«
»Auch die Ghouls?«
Er holte Atem. Sein Rücken bewegte sich dabei. »Wie kommst du gerade auf sie?«
»Wer so riecht wie du, bei dem ist es kein Wunder.« Ich lachte leise. »Außerdem hasse ich die Leichenfresser.«
»Das wissen wir.«
»Wir? Wer ist das?«
»Du wirst bald alle kennenlernen«, versprach er mir. »Und ich werde dir schon jetzt mitteilen, daß du verloren hast, mein Freund. Ja, du hast verloren.«
»Inwiefern?«
»Ganz einfach. Du hast das getan, was wir wollten. Es ist ein besonderes Spiel.«
»Eines mit Seelen und Geistern?«
»Sowie Ghouls.«
»Ich freue mich schon.«
Da lachte er röhrend. Gleichzeitig zuckte sein Arm. Ich bewegte in einer gegenläufigen Reaktion meine Hand auf die Beretta zu, was nicht nötig war, denn er hatte den rechten Arm nur angehoben, um schräg in den Himmel und gegen den Schornstein zu zeigen.
»Wolltest du nicht Licht?« rief er.
»Da ist es…«
Er hatte nicht gelogen. Von einer Sekunde zur anderen war es da. Es mußte einfach kommen, um eine Szene zu erleuchten, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließ…
***
Zuerst hatte ich gedacht, es wäre eine Flamme gewesen, die aus der mächtigen Öffnung des Schornsteins in die Höhe fackelte. Aber es war kein Feuer, auch wenn es so aussah, es tanzte mehr, es war geisterhaft, zwar hellrot, aber an den Rändern so, daß es aussah, als hätte jemand mit der Schere in die Ränder hineingeschnitten. Die Flamme war mehr ein großes Oval in ihrem Zentrum, aber sie ragte zudem noch tief in den Schornstein hinein und war dort so grell, daß ihr Widerschein durch die Ritzen an den Seiten leuchtete.
Dort schimmerte es rötlich. Allerdings dunkler. Ich bekam den Eindruck, daß Ritzen zwischen den Steinen nicht mit Mörtel, sondern mit Blut gefüllt worden waren.
Es war ein phantastisches, ein unheimliches und gleichzeitig ein geisterhaftes Bild, und es sollte sich noch mehr verändern, denn als ich eine Frage stellen wollte, kam mir der Hüter zuvor. »Warte es ab, Sinclair…«
Ich wartete und sah weiter.
Etwas kristallisierte sich innerhalb der Flamme hervor. Zuerst konnte ich es nicht erkennen, dann aber nahm der Gegenstand deutlichere Formen an, und ich wußte, was es war.
Eine Hand!
Eine große, bleiche, vom Feuer umtoste Hand, schon mehr eine gewaltige Klaue. Sie hatte sich von oben her in die übergroße Flamme hineingeschoben, aber sie drang nicht tiefer, sie blieb in dieser Höhe stehen, so daß sich zwischen ihr und dem Rand des Schornsteins ein Zwischenraum auftat.
Warum?
Ich schaute auf den Hüter. Er stand unbeweglich neben mir. Sein Gesicht zeigte ein scharfes Grinsen.
»Was soll das?« fragte ich.
»Keine Sorge, es geht noch weiter.«
»Und wie?«
»Paß genau auf, es kommt aus der Tiefe.« Er rieb seine Hände. Die Haut raschelte zusammen.
Wieso aus der Tiefe?
Meine Blicke ließen den Schornstein nicht los. Auch die zu mir hingewandte Seite schaute ich mir an. Die Flamme bewegte sich auch weiter. In sie hinein drang der Wind, er spielte mit ihr, aber er drückte sie nicht so nach unten, daß sie eine andere Form angenommen hätte. Mir kam es so vor, als würde sie sich gegen den Wind stemmen.
Dann sah ich es.
Es war schlimm, es war furchtbar, was da aus der Öffnung nach oben gedrückt wurde und trotz der Höhe noch klar und deutlich für mich zu sehen war.
Der Körper eines
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