073 - Der Killer, der nicht sterben konnte
mich braucht, stehe ich euch ab sofort wieder zur Verfügung«, bemerkte unser Freund und Nachbar tatendurstig.
»Glaubst du nicht, daß du eventuell ein bißchen eingerostet sein könntest?« fragte Mr. Silver.
Lance sah ihn entschlossen an. »Ich bin in Form. Willst du mich testen?«
Ich lachte. »Lieber nicht, sonst geht hier die Einrichtung drauf.«
Lance Selby kam mir vor wie eine gespannte Stahlfeder. Man brauchte nur auf den entsprechenden Auslöseknopf zu drücken, und unser Freund würde mit gefährlicher Wucht losschnellen.
Er hatte sich an sein erstes Leben nicht erinnern können. Was er von früher wußte, hatten wir ihm erzählt. Wir hatten ihn sehr gründlich informiert, und manchmal hatte ich einen Haß in seinen Augen aufblitzen gesehen, der mich erschreckte.
Irgendwie war Lance anders geworden. Härter, furchtloser, kompromißloser.
Er hatte eine Freundin gehabt, die er mehr als sein Leben liebte: Oda, die weiße Hexe. Es war eine wunderbare Romanze gewesen. Wie Romeo und Julia waren uns Lance und Oda manchmal vorgekommen.
Und nun war Romeo allein.
Weil Mago, der Jäger der abtrünnigen Hexen, Oda mit dem Höllenschwert getötet hatte.
»Ich werde hart und gnadenlos gegen die Streiter der Hölle vorgehen!« schwor Lance Selby in diesem Augenblick. »Von mir haben sie keine Schonung zu erwarten, denn ein Schwarzblütler nahm mir das Liebste, was ich besaß. Die Rache wird von nun an mein Leben bestimmen. Wo immer ich auf Höllenwesen stoße, werde ich unerbittlich zuschlagen. Und niemals… niemals wird Odas Tod gesühnt sein.«
Ich musterte den Parapsychologen besorgt. Seine leidenschaftliche Rede war zwar zu verstehen, aber sie gefiel mir trotzdem nicht.
Wir würden auf Lance aufpassen müssen, damit er sich in seinem Eifer nicht zuviel zumutete. Wenn er die Jagd auf Schwarzblütler nämlich übertrieb, wenn er zu sehr ohne Rücksicht auf Verluste vorging, konnte er sehr leicht zur Gefahr für sich selbst werden.
Er hatte von Vicky Bonney gehört, mit welchen Problemen wir zur Zeit zu kämpfen hatten, und bat mich, die Informationen auf den neuesten Stand zu bringen.
Gespannt und interessiert hörte er mir zu und war bereit, in die Angelegenheit einzusteigen.
Ich nahm sein Angebot aus zwei Gründen an. Erstens wollte ich sehen, wie gut Lance nun tatsächlich wieder zu kämpfen verstand, und zweitens hatten wir ihn dabei auch gleich unter Kontrolle. Es erschien mir als Risiko, ihn jetzt schon eigene Wege gehen zu lassen. Besser war es, wenn wir vorläufig ein Auge auf ihn hatten.
Er machte gewissermaßen erste Gehversuche in seinem zweiten Leben, und die tat er besser unter unserer Aufsicht.
Ich telefonierte in Vicky Bonneys Arbeitszimmer zwanzig Minuten lang in ganz London herum. Vor allem die Reisebüros, die Kenia als Urlaubsziel in ihrem Programm hatten, rief ich an.
Danach wußte ich, was es mit »Green Heaven« auf sich hatte. Das war ein supermodernes Feriendorf nordöstlich von Nairobi. Eine grüne Insel des Friedens. Ein grüner Himmel. Das Paradies, versicherte man mir.
Und aus diesem Paradies sollte Marbu kommen? Wollte Rick Stubbs das andeuten? Oder war »Green Heaven« nur ein Ausgangspunkt? War es von dort nicht weit bis zu jenen Eingeborenen, die Marbu verehrten?
Wir würden es herausfinden.
Ich buchte für Lance Selby, Mr. Silver und mich. Als ich meinen Freunden mitteilen wollte, daß sie sich auf eine Reise nach Kenia freuen konnten, läutete das Telefon.
Ich meldete mich - und am anderen Ende weinte ein Mädchen.
»Hallo!« sagte ich drängend. »Wer sind Sie? Würden Sie bitte Ihren Namen nennen?«
Sie brachte ihn nicht heraus. Sie schluchzte nur ununterbrochen und stammelte Wortfragmente.
Schließlich sagte sie: »Wir… wir hätten es nicht tun sollen… Oh, Mr. Ballard, ich bin ja so unglücklich… Wir haben ihn auf dem Gewissen…«
»Wen? Was ist passiert?«
»Ich werde nie, niemals darüber hinwegkommen. Er ist tot.«
»Wer ist tot?«
»Rick.«
Jetzt wußte ich, daß das Mädchen am anderen Ende Faye Stanford war, die Freundin von Rick Stubbs.
»Rick hat es nicht geschafft, Mr. Ballard. Sie haben ihn mit Ihren vielen Fragen zu sehr angestrengt. Ich hätte es nicht zulassen sollen.«
Ich war mir keiner Schuld bewußt. Die Geräte hatten angezeigt, daß Stubbs den Umständen entsprechend okay gewesen war, als wir ihn verließen.
»Es tut mir leid, Faye«, sagte ich.
»Ist das alles, was Sie dazu zu sagen haben?« schrie sie. »Rick ist tot.
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