0749 - Hort der Wölfe
das Wild auf der Lichtung auch jetzt noch zu zeigen.
Auf die nahende Gefahr wurde Bane im selben Moment aufmerksam wie die Rehe, gerade so, als könne auch er die Bedrohung wittern, wenngleich er sie nicht fürchtete.
Dennoch schien selbst die Unruhe der Ricken und Böcke auf ihn überzuspringen wie ein unsichtbarer Funke, den der Wind von ihnen her zu ihm trug. Mühsam widerstand er dem Drang, sich zu bewegen.
Die Rehe spitzten die Ohren, und schon setzte eines der Tiere, ein Bock, in kräftigen, weiten Sätzen rechter Hand das Tal hinab.
Links, keine 300 Fuß von den Rehen entfernt, war der Wolf buchstäblich aufgetaucht aus dem Meer der gut kniehohen Gräser.
In derselben Sekunde wie der Bock begann auch der Wolf zu laufen, auf die Gruppe der Rehe zu, die wiederum nur einen Sekundenbruchteil später ebenfalls in Bewegung geriet und nach rechts stob.
In diesem Augenblick fand Royce Bane, dass dieses Schauspiel, dessen Zeuge er da wurde, in der Tat etwas von einer Inszenierung auf einer gigantischen Freiluftbühne hatte. Ja, das Synchrone der Bewegung aller Beteiligten hatte etwas beinahe Balletthaftes, war auf ureigene Weise schön, obwohl letztendlich ein Tier sein Leben würde lassen müssen.
Bane glaubte auch schon zu wissen, welches Reh der Wolf reißen würde…
Eine der Ricken war deutlich langsamer als ihre Artgenossen, verlor den Anschluss, als die Gruppe in einem weiten, elegant anmutenden Bogen nach links schwang und die ersten Tiere auch schon ins schützende Dickicht des jenseitigen Talrands und der Hügel dort eintauchten.
Der Wolf folgte den Rehen nicht in direkter Linie, sondern schnitt ihnen den Weg ab, indem er schräg auf die Stelle zuhetzte, an der sie im Wald verschwanden.
Bane konnte sogar schon die Stelle Vorhersagen, an der sich Jäger und Opfer begegnen mussten.
Doch mit dieser Prognose lag er falsch.
Weil ein unerwarteter Faktor ins Spiel kam - ein zweiter Wolf!
War der erste schon groß, so musste man diesen zweiten kolossal nennen. Seiner Größe nach wirkte er eher wie ein Löwe, das ungewöhnlich buschige Fell um seinen Hals unterstrich diesen Eindruck noch, weil es an die Schulter- und Nackenmähne eines Löwenmännchens erinnerte.
Auch dieser Wolf war wie aus dem Nichts erschienen, gerade so, als sei er aus dem Boden gewachsen.
Die lahmende Ricke stoppte wie vor ein unsichtbares Hindernis gerannt, wollte in eine andere Richtung weiter -aber mit dem Innehalten hatte sich ihr Schicksal schon endgültig besiegelt.
Der zweite Wolf erreichte das Reh mit vier, fünf gestreckten Sätzen, sprang es an in dem Moment, da es kehrt machen und sich wieder in Bewegung setzen wollte, und riss es mit sich zu Boden. Wolf und Reh tauchten im Gras unter und entschwanden Banes Blicken. Er sah nur noch das wogende Gras, hörte etwas wie einen Schrei, der ihm zwar leise nur, aber unheimlich menschlich in den Ohren klang. Dann gebot der Tod Stille im Tal.
Die anderen Rehe waren verschwunden, und der erste Wolf näherte sich, ohne Eile, der Stelle, an der sein Artgenosse die Ricke zur Strecke gebracht hatte.
Bane war gespannt, was nun passieren würde. Er rechnete damit, dass es zum Kampf, zumindest aber zum Streit um die Beute kommen würde, und es war nicht schwer zu erraten, welcher der Wölfe aus dieser Auseinandersetzung als Sieger hervorgehen würde.
Doch Bane irrte sich abermals - zu seinem noch größeren Staunen diesmal.
Der erste Wolf, der seines schwarzen Pelzes wegen fast wie ein Schatten aussah, blieb stehen, der andere, größere erhob sich; sein helles Fell schimmerte silbern im Mondlicht. Einen Moment lang sahen sich die beiden Jäger an, dann wich der größere zwei Schritte nach hinten.
Bane hörte nichts, keinen Laut, kein Knurren, kein Hecheln. Dennoch war er fast sicher, dass die beiden Wölfe irgendwie miteinander kommunizierten. Er spürte diesen Austausch einfach, als läge er wie Spannung in der Luft.
Schließlich senkte der mähnige Wolf den Schädel, als wolle er sich verbeugen, gentlemanlike geradezu, dann machte er kehrt und schnürte von dannen. Und der kleinere Wolf nahm sich des toten Rehes an und schleifte es zum Waldrand.
Der größere Wolf, der ein Rüde sein mochte, hatte dem anderen, vielleicht weiblichen, die Beute also überlassen. Das an sich war schon ungewöhnlich. Die Art jedoch, in der es geschehen war, kam Bane nahezu zivilisiert vor. Ja, auf schwer zu fassende Weise hatten sich diese Tiere beinahe menschlicher verhalten als Menschen
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