0749 - Hort der Wölfe
doch lebendig. Sie bewegten sich, blickten hierhin und dorthin, wie suchend, dann fanden sie den am Boden liegenden Mann und fixierten ihn.
Strongtree hatte dem Mann Jacke und Hemd ausziehen müssen und dabei mit leisem Erschrecken festgestellt, wie gut die Bisswunde an der Schulter schon verheilt war. Ein schlechtes Zeichen. Old Man hatte dem Bewusstlosen eine Reihe ineinander verschlungener Symbole aus der Schrift der Steinalten auf die nackte Brust gemalt. Diese Zeichen, so hatte Old Man erklärt, würden seinen ›Fingeraugen‹ als Wegweiser und Pfade dienen, was freilich nur eine verbildlichte und vereinfachte Erklärung dessen war, was Old Man da tat. Wirklich in Worte fassen ließ es sich nicht, so fremd war es, so unbegreiflich.
So unfassbar wie der Umstand, dass Old Man dem Mann jetzt ›in Herz und Seele‹ schaute. So nannte er es wenigstens, aber auch das war gewiss nur eine Vereinfachung dessen, was er wirklich tat und sah.
Dazu murmelte er in singendem Ton Worte, die kaum noch ein Mensch auf dieser Welt kannte, und berührte mit einer Hand Gesicht und Stirn des Mannes, während die andere über dessen Brust und die Zeichen darauf wanderte.
Strongtree blieb derweil nichts anderes zu tun, als zu warten - und sich elend zu fühlen.
Es war seine Schuld! Er hatte den Mann in diese Lage gebracht, seinem Leben eine Wendung gegeben, die womöglich nicht rückgängig zu machen war, nicht einmal mittels Old Mans Wissen und der besonderen Kraft dieses Ortes. Eine Wendung, der ein Pfad folgte, der zu einem schlimmeren Ziel noch führte als dem bloßen Tod - dieser Weg führte in die Verdammnis.
Strongtree wurde die Kehle eng, und das Herz in seiner Brust schien zu versteinern. Jeder Schlag schmerzte.
Er war zu Old Man gekommen, weil er den grausamen Trieben hatte entsagen wollen, die ihm der dunkle Geist aufzwang, der in ihm nistete. Der Alte hatte ihn aufgenommen, wie er schon so viele vor ihm aufgenommen hatte, hatte ihm die Wege gewiesen, die er zu gehen hatte, um an sein Ziel zu gelangen, und zeigte ihm die Mittel, derer er sich bedienen konnte, um es zu erreichen.
Und er, Strongtree, hatte sich schon auf dem rechten Pfad gewähnt - bis er ihn gestern Nacht verlassen hatte. Weil er geglaubt hatte, den Jäger aufgespürt zu haben, jenen Mörder, der sich nun diesen Landstrich zum Revier erkoren hatte, um ganz besonderer Beute nachzustellen, die es hier in größerer Zahl als an sonst einem Ort gab - und die er in den vergangenen Wochen schon um einige dezimiert hatte…
Strongtree hatte dem Morden ein Ende machen wollen - indem er selbst noch einen Mord beging, einen allerletzten. Und er hatte den Falschen erwischt, auch wenn er ihn nicht getötet hatte. Denn das hatte - und das war wohl Ironie des Schicksals - derjenige verhindert, auf den Strongtree es eigentlich abgesehen hatte.
Dieses Desaster hatte ihm die Augen geöffnet, ihm gezeigt, wie verkehrt sein Denken war.
Doch jetzt, im Angesicht seines letzten Opfers, genügte ihm diese Einsicht nicht mehr. Er wollte, dass es vorbei war. Ein für allemal! Und das so schnell wie möglich…
Noch heute Nacht wollte Strongtree…
Ein Seufzen lenkte ihn ab. Er hob den Blick.
Old Man löste die Hände von dem Mann, verwischte dabei die Zeichen aus Pflanzen- und Beerensäften auf dessen Brust und sank erschöpft in sich zusammen. Strongtree wollte zu ihm, um ihn zu stützen, doch der Alte winkte ab.
Mit geschlossenen Augen saß er da, eine ganze Weile lang, sammelte sich, regenerierte seine Kräfte aus denen dieses Ortes. Rituale wie dieses erforderten nicht nur ein Höchstmaß an Konzentration, sie zehrten auch an der körperlichen Substanz, ganz so wie schwere Arbeit. Und im Augenblick schien es Strongtree, als zeige sich in Old Mans Miene ein Abglanz seines wahren Alters, als seien die Jahre zurückgekehrt, um sich mit Gewalt zu nehmen, worum die Widernatur sie betrogen hatte.
Doch dieser Eindruck verging, und schließlich war Old Man wieder ganz der Alte. Nur etwas müde wirkte er allenfalls noch.
Strongtree verbat sich jegliche Frage. Old Man würde ihm schon sagen, was er gesehen hatte, wenn er so weit war. Dennoch nagte die Ungeduld in ihm.
Aber Old Man schien nicht in der Stimmung zu sein, sich ein Vergnügen daraus zu machen, die Geduld seines derzeitigen Eleven auf die Probe zu stellen. Im Gegenteil konnte sich Strongtree nicht erinnern, je so viel Ernst in der so jungen Miene des Alten gesehen zu haben. Und etwas anderes noch. Einen
Weitere Kostenlose Bücher