0751 - Gespenster der Nacht
umbringen lasse.«
»Genau.«
»Nun ja.« Ich legte eine Pause ein und tat so, als müsste ich seine Worte erst noch verdauen. »Ich nehme an, dass Sie sich über mich erkundigt haben, Maitland.«
»Das versteht sich.«
»Dann werden Sie auch sicherlich wissen, dass ich mich nicht so einfach unterkriegen lasse. Es ist klar, dass ich mich wehren werde.«
»Das musste ich einkalkulieren.«
»Und Sie sind sich trotzdem so sicher?«
»Ja. Sie kommen hier nicht mehr weg. Ein Maitland wird Rache nehmen, Sinclair.«
Den letzten Satz hatte er nicht mehr so jovial, sondern kalt und böse ausgesprochen, wobei ich mich fragte, wofür er Rache nehmen wollte. Ich hatte ihm persönlich nichts getan, und eigentlich ist Rache ja immer etwas Persönliches.
»Tut mir Leid, ich verstehe Sie nicht. Wieso wollen Sie sich an mir rächen, wo ich Sie gar nicht kenne und Ihnen auch nichts getan habe? Was ist der Grund?«
Er hob die Schultern. »Gehen Sie nicht immer nur von sich aus, Sinclair. Sie kennen mich nicht. Mir reicht es, wenn ich Sie kenne.«
Er wies mit dem Finger auf mich, als wollte er mich anklagen. »Ja, ich kenne Sie und Ihren verdammten Beruf.«
»Wir kamen uns nie in die Quere, Maitland.« Verflixt noch mal, er sollte endlich auf den Punkt kommen.
»Direkt nie.«
Aha, dachte ich. »Indirekt denn?«
»Das ist etwas anderes. Sie haben es erfasst. Sie haben mir indirekt etwas angetan, für das Sie sterben müssen. Es liegt schon etwas zurück, aber ich habe Zeit.«
»Dann helfen Sie mir mal auf die Sprünge, Maitland. So weit reichen meine Erinnerungen wohl nicht.«
»Nein oder doch?« Er lachte auf und das Echo seines Gelächters rollte durch die kahle Halle.
»Bitte.«
Sein Lachen brach ab. Auch das Gesicht zeigte keinen Ausdruck seiner falschen Freundlichkeit mehr. Es war plötzlich zu einer harten Maske geworden. Der Mund zeichnete sich darin kaum ab. Hart traf mich sein Blick.
»Ich warte, Maitland!«
Die Augen behielten den stählernen Blick bei. »Du brauchst gar nicht weit zurückzudenken. Einige Wochen nur, im Winter, in einem anderen Land, südlich von hier…«
Allmählich fiel bei mir der Vorhang. Etappenweise nur wurde er nach unten gezogen, aber ich bekam einen klaren Blick und wusste jetzt Bescheid. Es konnte sich nur um Pontresina handeln, wo mich ein Fall in meinen Grundfesten erschüttert hatte. Es ging damals um den Jungen Elohim, die Kreaturen der Finsternis, die ihn für seine Pläne hatten einsetzen wollen und – für mich am wichtigsten – um Jessica Long, die monatelang mein Vertrauen genoss, um mich dann gnadenlos zu enttäuschen. Sie hatte sich letztendlich als eine Kreatur der Finsternis herausgestellt und war praktisch auf mich angesetzt worden, um mich in Pontresina, in meinem Urlaub, vernichten zu können. Es war ihr nicht gelungen. Mit Hilfe des Jungen Elohim hatte ich sie besiegen können, aber die Wunde, die dieser Fall bei mir hinterlassen hatte, war noch sehr frisch und blutete auch weiter.
Richtig darüber hinweg war ich noch nicht gekommen.
»Also darum«, sagte ich.
»Jetzt weißt du es.«
»Für mich ist der Fall abgeschlossen. Ich wüsste nicht, was es da noch für ein Nachspiel geben sollte. Tut mir ehrlich Leid, aber da komme ich nicht mit.«
»Sie sind zu egoistisch, Sinclair. Sie sollten lieber daran denken, dass es anderen nicht so geht.«
»Was haben Sie damit zu tun?« Ich kam auf den Kern der Sache zurück. »Reden Sie.«
»Indirekt.«
»Das ist mir zu vage.«
Er legte den Kopf schief, lächelte böse und flüsterte die folgende Antwort, die nur aus zwei Worten und einem Namen bestand.
»Doktor Sträter!«
»Wie – wie bitte?«
Er wiederholte den Namen, und in die Gegenwart meines Denkens hinein schob sich allmählich der Schatten der Erinnerung. Natürlich kannte ich Doktor Sträter. Er war der Greis im Rollstuhl gewesen, ein Medium, das bestimmte Kräfte auf die normalen Menschen hatte transportieren sollen. Er war eine wichtige Person in diesem grausamen Spiel gewesen, aber auch ihn gab es nicht mehr, und das wiederum erklärte ich meinem Gegenüber mit Nachdruck.
Viktor Maitland blieb gelassen. »Wie gesagt, Sinclair, Dr. Sträter ist unser Problem. Ich mochte ihn. Ich mochte ihn sogar sehr. Wir kannten uns gut. Wir wussten voneinander. Wir haben uns gegenseitig unterstützt, uns geholfen und uns mit unserem gegenseitigen Wissen befruchtet. Wir waren beide wunderbar, wir hatten vor, die Rätsel der Welt zu ergründen, und wir hätten es
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