076 - Die Jenseitskutsche von Diablos
an die bemalten
Wände. Die Malereien zeigten eine exotische Welt, eine Welt der Menschen vor
achthundert oder tausend Jahren. Farben und Mosaike waren erstaunlich gut
erhalten, und Petra Strauß merkte, wie sie in den Bann dieser Dinge geriet. Das
Gemälde zeigte eine Gruppe musizierender Mädchen, die einem auf dem Thron
sitzenden König ein Ständchen mit Lauten und Flöten darbrachten. Aber
Wandbilder konnten keine Geräusche von sich geben...
Die Musik kam von weiter oben, aus dem über dem
Korridor befindlichen Stock. »Hallo?!« Petra Strauß blieb in der Nähe
des Öllichts und starrte den riesigen Korridor entlang. »Ist hier jemand?
Hallo, kann man mich hören?« Überlaut hallte ihre Stimme durch den langen
Raum, als würde sie durch ein Mikrofon verstärkt. Als Petras Rufen verhallte,
war noch immer die Musik zu hören, jene fremdartigen, exotischen Klänge aus dem
Wandgemälde...
Auf den Korridor mündeten mehrere hohe Türen. Die
einsame Frau ging auf die ihr am nächsten liegende zu. »Hola!«, vernahm die
Deutsche da eine spanisch sprechende Stimme. »Da ist jemand!« Im Halbdunkeln
des langen Ganges tauchte eine Gestalt auf. Ein Mann! Er hatte dunkles,
gewelltes Haar, war von untersetzter Gestalt und trug ein weißes Hemd und eine
schwarze Hose. Petra Strauß atmete unwillkürlich auf. Jetzt musste sich alles
aufklären. Zumindest erwartete sie eine Begründung
für die mysteriöse nächtliche Entführung und für alles, was damit in
Zusammenhang stand.
»Ja, hier ist jemand!«, hörte sie sich sagen. Sie
reagierte ganz mechanisch und lief dem Fremden noch einige Schritte entgegen.
Da erkannte sie, dass er nicht allein war. Im Halbdunkeln hinter ihm tauchten
weitere Personen auf. Gleichzeitig registrierte Petra Strauß Lichtschein aus
einem Raum, dessen Tür weit offen stand und aus dem weitere Gestalten kamen.
Viele Frauen fielen ihr auf, mit exotischem Aussehen und stoffreichen Kleidern.
Die Männer waren nicht weniger prunkvoll gekleidet. Petra Strauß stutzte, als
sie alles erkannte. Sie glaubte, einen Blick in die Vergangenheit zu tun. Die
prunkvoll gekleideten Damen und Herren schienen zum Hofstaat zu gehören, der
hier in der Maurenburg zu Hause war. Aber die junge Frau revidierte sofort ihre
eigene Überlegung. Da waren auch andere, Menschen, die modern und weniger
modern gekleidet waren. Es gab Alte und Junge, Männer und Frauen. Sogar zwei
Kinder erblickte sie. Das Mädchen war weizenblond und trug Zöpfe, die bis zu
den Hüften reichten. Der Junge war klein und dick und wirkte gemütlich mit
seinem streng gescheitelten Haar und dem Vollmondgesicht, das er hatte. Die
Menschen stammten aus verschiedenen Epochen! Nein, verbesserte Petra sich erneut.
Sie stellen durch ihre Kleidung diese Epochen nur dar. Hier findet – ein
Maskenball statt! Der Druck auf ihrem Herzen ließ nach. Hier war jemand auf
eine Schnapsidee gekommen und hatte sie auch kurzerhand ausgeführt. Vielleicht
eine Wette...
Wenn Feiern stattfanden, fiel manchem etwas ein, um
die Festlichkeit noch interessanter zu machen.
»Um eine Pyjama-Party wird es sich wohl nicht handeln,
wenn ich das richtig sehe...« Petra Strauß kratzte ihre ganzen
Spanischkenntnisse zusammen, um sich zu artikulieren. Die Angst und die
Beklemmung waren wie weggeblasen.
»Welcher Witzbold kam denn auf die Idee mich entführen
zu lassen? Was ist hier los? Unter anderen Umständen würde ich das Ganze, wie
Sie offensichtlich, für einen geglückten Scherz halten. Aber im Moment ist mir
das Lachen vergangen. Ich verlange, sofort zurückgebracht zu werden!« Der
mittelgroße, untersetzte Mann mit dem weißen Hemd und der schwarzen Hose war zuerst bei ihr. Er lächelte
seltsam, ohne ihr eine Antwort zu geben. Im Nu waren auch all die anderen
heran, und ehe Petra Strauß sich’s versah, war sie von den Gestalten umringt.
Hände streckten sich ihr entgegen. Sie waren geisterhaft bleich und eiskalt Petra
Strauß fühlte die erste Berührung und hatte das Gefühl, die Tür zu einem Kühlschrank
hätte sich geöffnet. Gefahr!
Die Deutsche wollte sich herumwerfen in der Absicht,
den Kreis der sie umringenden Leiber zu durchbrechen. Wie Kinder, die in
ähnlicher Form Spiele trieben, so rannte sie in die sie auffangenden Hände. Zu
einem zweiten Versuch reichten ihre Kräfte nicht mehr. Petra Strauß merkte, wie
ihre Knie wankten. Aus eigener Kraft konnte sie sich nicht mehr auf den Beinen
halten. Nur die Hände der seltsamen Menschen, es waren rund
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