0760 - Die Geisterfee
diesem Reich, das ja nicht zu dem der Toten zählte? Den Gedanken daran fand sie plötzlich faszinierend, aber sie wollte ihn nicht zu weit spinnen, denn sie mußte zuerst an ihre Aufgabe denken, die wichtiger war als alles andere. Es durfte den Hexen nicht gelingen, das Böse herbeizulocken. Der Teufel hatte ihr Eingreifen verhindern wollen und ihr einen Killer geschickt. Aber er war einem Irrtum erlegen.
Es gab sie noch, und sie würde ihm beweisen, wie sehr es sie gab! Alexa dachte daran, daß sie sich beeilen mußte. Sie wollte vor den anderen den bestimmten Ort erreicht haben, und sie würde zwischen ihnen erscheinen wie ein Rachegeist. Es durfte den Hexen nicht gelingen, auch nur einen Teilsieg zu erringen.
Auf dem weiteren Weg geschah nichts, was ein Eingreifen ihrerseits gerechtfertigt hätte. Daß es noch wärmer und schwüler geworden war, davon spürte sie nichts. Diese menschlichen Eigenschaften hatte sie zurückgelassen.
Die größte Strecke des Wegs lag hinter ihr. Und als sie an einer schmalen Kreuzung stehenblieb, da streifte ihr Blick über die Straße hinweg zu einem bestimmten Ziel.
Als kompakte grüne Insel wuchs es aus der Umgebung hervor. Es sah aus wie ein Park, doch es war keiner, auch wenn manche Menschen einen Friedhof als Park ansahen.
Für Alexa würde es zu einer Stätte der Abrechnung werden.
Keiner sollte überleben - keiner…
***
Chiefinspektor Tanner konnte sich auf seine Leute hundertprozentig verlassen, allein deshalb, weil sie bei ihm ausgebildet waren. Er überließ ihnen die Untersuchungen und war zu uns in die Wohnung gekommen, wobei wir ihn als einen leichten Störenfried ansahen.
Natürlich wollte er die ganze Wahrheit wissen, und ich sagte sie ihm auch, denn ich wußte sehr deutlich, daß ich mich auf Tanner verlassen konnte.
Er stand vor mir, hörte mir zu und ließ einen erkalteten Zigarrenstummel von einer Mundseite zur anderen wandern. Dabei hatten seine Augen einen staunenden Blick bekommen. Ich wartete nur auf seinen Kommentar, daß er mit dem Fall nicht zurechtkam, aber da hatte ich mich getäuscht, denn Tanner wollte am Ball bleiben.
Er rammte die Hände in seine Hosentasche. »Wir haben zwei Tote, John«, knurrte er tief in der Kehle.
»Ich weiß.«
Er war noch nicht fertig. »Es war einmal Mord und einmal Notwehr, nehme ich an.«
»Das kommt hin.«
»Dieser Killer, dessen Identität wir noch feststellen müssen, kann durchaus den Jungen ermordet haben.«
Ich nickte.
»Warum?«
Da hatte er mich gepackt. Ich war leider nicht dazu gekommen, mit ihm zu reden. Vielleicht hätte ich dann eine Antwort bekommen, und das sagte ich Tanner auch.
»Wir werden seine Waffe untersuchen und wahrscheinlich feststellen, daß der Junge damit ermordet worden ist!« Tanner schüttelte den Kopf. »Ich kann es noch immer nicht fassen. Es rotiert durch meinen Kopf, und ich will dir ehrlich sagen, John, daß der Mord an diesem Jungen nicht geplant war. Er muß rein zufällig geschehen sein. Wahrscheinlich ist er dem Killer in die Quere gekommen.«
»Daran habe ich auch gedacht.«
»Ich habe noch weiter nachgedacht«, sagte Tanner. Dabei nahm er eine Wanderung durch das Zimmer auf. »Du erinnerst dich an das offene Fenster, John?«
»Sicher.«
»Ich habe mich dort hingestellt und eigentlich lange auf diese Terrasse hier geschaut. Ich will nicht sagen, daß mir die große Erleuchtung gekommen ist, aber ich kann mir vorstellen, daß der Killer es zuerst versucht hat, sein Opfer von diesem Nachbarhaus aus zu erwischen. Dabei kam ihm der Junge in die Quere und hat dies mit seinem Leben bezahlen müssen.« Tanners Stimme sackte ab. »Ist das so richtig?«
Ich nickte nur. So hatte ich den Chiefinspektor noch nie erlebt. Ich wußte ja, daß unter seiner rauhen Schale ein weicher Kern steckte. Daß er aber so weich war, das machte ihn mir noch sympathischer.
»Komischerweise, John, kann ich nicht froh werden. Ich gehe einfach davon aus, daß du den Mörder des Jungen gestellt hast, aber damit ist der Fall ja nicht erledigt.«
»Stimmt. Nur ist das jetzt meine Sache.«
Tanner nickte. Seinen Hut hatte er auch jetzt nicht abgenommen. »Eigentlich müßte ich mich jetzt freuen, daß es wieder - sagen wir mal - normal läuft. Aber ich kann es nicht. Ich habe einfach den Eindruck, mich reinhängen zu müssen. Verstehst du das?«
»Es ist sicherlich wegen dem Jungen.«
»Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Ja, es ist wegen dem toten Sven. Ich komme einfach nicht davon
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