0763 - Strigen-Grauen
meiner Seite war alles geregelt. Jetzt war ich gespannt, wie es weitergehen würde…
***
Weg! Weg von ihm! Nur hinein in das Zimmer und dort allein sein. Die Ruhe haben. Nichts mehr sehen und hören, nur noch allein sein. Das war es, was für Helen zählte.
Sie war die Stufen so schnell hochgelaufen, daß sie jetzt außer Atem war. Blitzschnell öffnete sie die Tür, stürzte ins Zimmer und warf dabei die Tür zu. Sie schloß auch ab. Das mußte sie tun. Irgend jemand befahl es ihr. Eine innere Stimme in ihrem Körper. Helen konnte nicht mehr so tun, als wäre nichts gewesen. Nicht nach den Vorkommnissen der letzten Nacht und denen des Tages.
Alles war anders geworden - alles…
Und es hing nicht allein mit ihrer Wunde zusammen, aus der die drei Federn gewachsen waren, hinzu war noch etwas anderes gekommen, das sie erst jetzt so richtig spürte.
Sie veränderte sich.
Nicht vom Aussehen her, sondern rein innerlich. Da steckte etwas in ihr, das sie nicht erklären konnte, sondern nur spürte. Es kribbelte, es bewegte sich, es rumorte und tanzte durch ihre Adern und sorgte eben für diesen Juckreiz.
Unten im Wohnraum hatte sie sich gerade noch beherrschen können. Sie hatte diesem Polizisten nicht gezeigt, wie es tatsächlich um sie stand, er hätte sie dann sicherlich nicht gehen lassen, aber sie wollte einfach allein sein, um sich mit ihrer neuen Lage anfreunden zu können. Für Helen stand fest, daß ihre Schicksalskurve einen scharfen Bogen geschlagen hatte und nun in eine völlig andere Richtung weiterführte. Wo diese endete? Helen wußte es nicht. Sie konnte sich nichts ausrechnen, es gab überhaupt keine Orientierungspunkte für sie, alles war so anders geworden, und der Drang, zum Fenster zu gehen, wurde übermächtig in ihr.
Sie blieb vor der Scheibe stehen.
Das reichte ihr auch nicht.
Mit einer Hand umklammerte sie den mit Kunststoff verkleideten Griff. Heftig drehte sie ihn nach rechts. Als er waagerecht stand, konnte sie das Fenster aufziehen.
Der Schwall an feuchtwarmer Luft erwischte sie. Die Sonne schien nicht mehr gegen das Fenster, sie kroch bereits auf den Westen zu, wo sie damit anfing, den Himmel zu färben und sie selbst das Aussehen einer reifen Orange annahm.
Die Umgebung des Hauses war seltsam geworden. Still und doch irgendwo laut. Es mochte daran liegen, daß so gut wie kein Wind wehte. Die Blätter an den Bäumen hingen wie traurige Lappen nach unten.
Motorengeräusche der anfahrenden Wagen. Stimmen der Nachbarn. Irgendwo hatte jemand den Grill vorbereitet. Der scharfe Geruch zog auch vor ihrer Nase her.
Sie fror plötzlich.
Nein, es war kein Frieren. Es war der Juckreiz auf ihrem Körper, der sich immer mehr verstärkte und schließlich von den Zehen bis hin zur Stirn ausbreitete.
Helen verzog das Gesicht. Sie hatte den Mund gespitzt, und kleine Speichelbläschen zerplatzten auf ihren Lippen. Unwohl fühlte sie sich, und trotzdem war es nicht so schlimm, wie sie es sich eigentlich vorgestellt hatte.
Als sie einen Nachbarn sah, zog sie sich vom Fenster zurück, ließ es aber offen.
Sie drehte sich und starrte auf das Bett. Ruhig konnte sie nicht mehr stehenbleiben. Immer wieder juckte und scheuerte es auf ihrer Haut. Sie fühlte sich unwohl und stellte auch fest, daß sich unter dem Pflaster etwas verändert hatte.
Da juckte es ebenfalls. Es war ein beinahe süßer Schmerz, der sich ausbreitete, und Helen hatte den Eindruck, als wäre die Wunde dabei, sich zu vergrößern.
Unmöglich jedenfalls war es nicht.
Sie schloß für einen Moment die Augen, um sich ganz auf sich selbst zu konzentrieren.
Unzählige Ameisen liefen über ihre Haut, bissen sie, verspritzten ihre Säure. Immer mehr störte Helen die Hose und das T-Shirt. Sie wollte es sich vom Leibe reißen und wegschleudern. Dann war sie nackt, dann ging es ihr besser, aber zuvor mußte sie noch einen Blick in den Spiegel werfen.
Wieder betrat sie das Bad.
Sofort drehte sie ihr Gesicht dem großen Wandspiegel zu. Das Pflaster war einfach nicht zu übersehen, die beiden Teile klebten dicht zusammen. Was sich jedoch darunter befand, konnte sie nur spüren. Da war es wieder, dieses lange Ziehen, als wären zahlreiche Finger dabei, an dieser Stelle herumzuzupfen.
Helen stemmte sich auf das Waschbecken. Die Haut um das Pflaster herum hatte sich tatsächlich stärker verfärbt. Sie war dunkel geworden. Sehr vorsichtig berührte Helen die dünne Oberfläche und setzte dann einen leichten Druck ein.
Augenblicklich
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