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077 - Das Kollektiv

077 - Das Kollektiv

Titel: 077 - Das Kollektiv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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kleinen Hautlappen, die das Gehör der Rriba'low verschließen und gegen Lärm abschotten konnten. Unbewusst tastete die Barbarin nach ihren eigenen Ohren, während sie zusah, wie Kaajin schweigend einen eisernen Kessel befüllte und zum Kochen vorbereitete.
    Wie eine Insel der Ruhe und des Friedens kniete die Frau inmitten des Geschreis.
    Gjöör'gi legte noch etwas Brennholz nach und stand dann auf, um Messer und Schleifstein zu holen. Im Vorbeigehen tätschelte er seiner heulenden Schwester den Kopf. Tosha'a antwortete mit einem Wutanfall. Als ihr zahnloser Biss nach Gjöör'gis Bein ins Leere ging, hob sie das rot verzerrte Gesicht gen Himmel und hämmerte brüllend die Arme herunter - genau auf den Baa'i. Die Kanten der Riesenmuschel zertrümmerten seinen Schädel.
    Aruula ballte die Fäuste; redlich bemüht, ihren Zorn und den innigen Wunsch nach Bestrafung dieses Kindes zu unterdrücken. Aber noch ehe es ihr gelang, fuhr Kaajin herum, holte aus und verpasste Tosha'a eine schallende
    'Ohrfeige.
    Das Kind und seine Mutter erstarrten.
    Aruula hielt den Atem an. Unwirkliche Stille breitete sich aus - selbst das prasselnde Feuer schien zu verstummen, und für einen Moment war nichts weiter zu hören als das Heulen des Sturmes.
    ***
    »Bei Ya'shiraa - was habe ich getan?«, flüsterte Kaajin erschrocken, als Tosha'a die Arme ausstreckte und ein kleines, unglückliches Schluchzen von sich gab.
    Hastig sprang sie auf, nahm ihr Kind und wickelte es in eine Decke. Dann nickte sie dem Jungen zu, der verstört auf dem Boden hockte und sich an Messer und Schleifstein festhielt.
    »Keine Angst, Gjöör'gi. Es ist alles in Ordnung. Mach weiter - ich bin gleich wieder da.«
    Kaajin hastete ins Freie. Mit gesenktem Kopf, das Kind an ihre Brust gedrückt, kämpfte sie sich durch den tobenden Sturm zur Hütte der Heilerin.
    Li'issa staunte nicht schlecht, als die schützende Schilfplatte vom Eingang weggezogen wurde und ihre Nachbarin mit einem Regenschwall in die Hütte kam.
    »Kaajin! Was ist mit dir? Du bist ja ganz blass! Bei Ya'shiraa - hat sich das Kind verletzt?« Hilfsbereit streckte die Heilerin ihre Arme aus, aber Kaajin hielt Tosha'a fest und schüttelte den Kopf.
    Li'issa scheuchte ihren Sohn beiseite - Dushkiin war damit beschäftigt, eine zerbrochene Kastenfalle zu reparieren - und winkte einladend.
    Kaajin setzte sich ans Feuer, wischte ihre Tränen fort, atmete tief durch und sah die Heilerin kummervoll an. »Ich habe Tosha'a geschlagen«, sagte sie tonlos.
    Li'issa prallte erschrocken zurück.
    »Aber Kaajin! Warum denn nur?«
    »Sie hat mit dem Essen gespielt.«
    Dushkiin schlug sich hastig die Hand vor den Mund. Zu spät: Sein unbedacht gemurmeltes »Was gibts denn?« war schon heraus und brachte ihm einen frostigen Blick seiner Mutter ein. Verlegen kratzte sich der junge Mann den Kopf. Der blutgetränkte Verband an seinem Arm schimmerte im Widerschein des Feuers. Dushkiin entschuldigte sich und verließ unter dem lahmen Vorwand, »etwas holen zu müssen«, die Hütte. Kaajin sah ihm nach und berichtete dann stockend, was geschehen war.
    »Was denkst du, Li'issa: Habe ich den Verstand verloren?«, schloss sie angstvoll.
    Die Heilerin winkte ab. »Aber nein«, sagte sie, nahm eine Muschelschale zur Hand und wandte sich ihrem roh gezimmerten Regal voller Tiegel zu. Mit spitzen Fingern zupfte sie ein paar getrocknete Zutaten heraus, die sie in der Schale vermengte. »Yu'uris Tod hat dich sehr mitgenommen. Und dann dieser Sturm… Wir sind heute alle etwas gereizt. Ich gebe dir eine Medizin. Sie wird dich beruhigen.«
    Nachdenklich wiegte Kaajin ihre Tochter in den Armen. »Der Sturm - ja, genau, das ist der Grund! Er macht uns nervös und wirbelt alles durcheinander.« Li'issa reichte ihr die Schale, zögerte einen Moment und sagte dann leise: »Wie diese Fremde.«
    Kaajin nahm die Medizin entgegen, trank und fragte sich im Stillen, was Dushkiin wohl auf diese Bemerkung gesagt hätte. Die Fremde hatte es ihm angetan, das war längst kein Geheimnis mehr im Dorf. Auch nicht, dass er sich ihretwegen mit dem armen Pa'arov geschlagen hatte, der nun wohl nicht mehr zurückkehren würde.
    Überhaupt geschahen hier sonderbare Dinge: ein Sturm, der nicht abflauen wollte; ungewohnte Aggression selbst bei den Kindern - und dann dieses höchst erstaunliche Gedankenlesen, das ohne erkennbaren Grund ausbrach und gleich wieder verschwand…
    Kaajin stellte die Schale ab und fuhr sich über den Mund. »Könnte sein, dass die

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