077 - Zu Gast bei Mr. Vampir
meiner Schuhe verlor!“
„Fauchard hat die Suche bereits angeordnet. Er möchte diesen Schuh sehr gern wiederfinden.“
„Weshalb?“
„Man könnte den Weg rekonstruieren, den Sie genommen haben. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind Sie von dem Haus weg geradeaus bis zur Straße gelaufen, auf der Sie dann ganz automatisch Ihren Weg fortsetzten. Aber der Kommissar möchte gern wissen, woher Sie kamen.“
„Es schien mir, als wäre kurz vor der Straße ein Graben gewesen, über den ich gesprungen bin. Davor war ein kleiner Wald und eine Wiese…“
Sie erinnert sich ganz plötzlich an den entsetzlichen Gestank, der ihr fast Übelkeit verursachte. Nun weiß sie, woher dieser Gestank stammte. Er mußte von den drei verwesenden Leichen kommen … Drei Leichen, die sich vielleicht im Nebenzimmer befanden, während sie gefesselt war.
Noch etwas fällt ihr ein. „Leggatt“, beginnt sie langsam. „hat vor dem Mittagessen einen Aperitif genommen, Wein zum Essen und nachher einen Cognac…“
„Ja, und?“
„Während der ganzen Zeit, als er bei uns Stammgast war, haben wir ihn nie Alkohol trinken sehen! Er bestellte immer nur Mineralwasser! Juliette wird Ihnen das bestätigen!“
„Das ist natürlich seltsam.“
Bevor er den Erzählungen Jeannines hundertprozentig Glauben schenken kann, muß Morestier nachdenken. Wenn sie nicht eine Lügnerin ist, müßte alles wahr sein, was sie erzählt, auch ihre Beschuldigungen gegen Leggatt.
Fauchard zieht seine Schlüsse als Polizist, und wenn Jeannine nicht die Namen von Greta Wyburg, Marcelle Bertal und Lucienne Lefevre ausgesprochen hätte, wäre Fauchard nie stutzig geworden. Was Leggatt betrifft: Er wird ihn nie ernsthaft für verdächtig halten, bevor er nicht den ersten konkreten Beweis hat.
Morester erhebt sich. „Beunruhigen Sie sich nicht mehr, Mademoiselle Jeannine. Morgen dürfen Sie die Klinik verlassen und nach Hause gehen. Aber zuvor werden wir uns noch ein wenig weiter unterhalten.“
„Aber, Doktor…“
„Bitte?“
„Die Klinik hier … ich verdiene nicht sehr viel und habe große Ausgaben…“
„Ihre kleine Tochter?“
Sie nickt.
„Machen Sie sich deshalb keine Gedanken. Sie sind mein Gast. Ich muß Ihnen gestehen, daß Ihre Erlebnisse mir keine Ruhe lassen. Fauchard hat mich deswegen schon verspottet, vermutlich hat er keine besondere Vorliebe für Amateurdetektive. Aber das stört mich nicht. Schließlich scheint mir ein Arzt immer noch der Geeignetste zu sein, wenn es darum geht, gegen einen Irren zu kämpfen. Finden Sie nicht?“
Eigentlich sollte Jeannine glücklich und beruhigt sein. Weshalb denkt sie: ‚Und wenn er kein Geisteskranker ist?’
Morestier kehrt in sein Büro zurück. Ja, das, was Jeannine widerfahren ist, fasziniert ihn sehr. Aber vielleicht nicht so sehr aus klinischem Interesse. Ist es nicht vielmehr, weil Jeannine äußerst hübsch und so ganz sein Typ ist?
Die Krankenschwester ist zurückgekehrt; Jeannine döst vor sich hin. Von Zeit zu Zeit öffnet sie die Augen, um sie gleich wieder zu schließen. Sie will die Schwester nicht wissen lassen, daß sie wach ist.
Jeannine betrachtet die Schwester unter den Wimpern hervor. Sie ist groß und stark. Frisches, dunkles Blut muß in ihren Adern rinnen, denkt Jeannine.
Sie fühlt etwas wie Begierde in sich aufsteigen. Es wäre so einfach. Die Schwester setzt sich gerade an das Fußende des Bettes, wendet sich ab und beginnt zu lesen. Es würde genügen sich aufzurichten, ohne daß das Bett knarrt, langsam an sie heranzukommen und …
Aber die Schwester ist zu stark.
Natürlich, wenn Jeannine ihr erst die Zähne auf die Halsschlagader gesetzt hätte, würde sie sich nicht mehr lange wehren. Aber es könnte jemand kommen…
Dieser Doktor zum Beispiel. Er ist sehr nett, aber er stellt Fragen, nichts als Fragen! Und ihre Antworten? Sie hätte besser geschwiegen.
Nun wird man sie vielleicht bewachen. Und das wäre die große Gefahr, denn solange sie hier ist, wird sie machtlos sein. Außer, sie kann sich an die Krankenschwester heranmachen…
Sie kommt und sie geht, diese Schwester. Sie strahlt vor Gesundheit und Frische. Wenn hier nur nicht so viele Leute ein- und ausgingen! Nun kommt die Schwester zu ihrem Bett, beugt sich über sie. Ah! Könnte sie doch ihre Hände an diesen Hals heben und ihre Nägel in die Haut graben!
Ihre Fingernägel sind zu kurz; sie muß sie wachsen lassen.
„Wie geht es Ihnen denn, Mademoiselle Jeannine?“
„Wie? Was
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