077 - Zu Gast bei Mr. Vampir
wollen Sie?“
Jeannine zittert und setzt sich im Bett auf. Ihr Gesicht ist verzerrt, und der Schweiß tritt ihr aus allen Poren. Ihre Augen sind wie verschleiert.
„Was ist geschehen?“ fragt die Schwester besorgt.
„Wie?“
„Sie haben geschlafen“, sagt die Schwester. „Hatten Sie vielleicht einen schlechten Traum?“
Jeannine schüttelt den Kopf. „Ich habe nicht geschlafen.“
„Das glauben Sie nur.“
Sie trocknet Jeannines schweißnasses Gesicht mit einem Tuch. Jeannine schüttelt wieder den Kopf. Nein, das war kein schlechter Traum. Sie hat tatsächlich daran gedacht, die Schwester zu töten und ihr Blut aus der Halsschlagader zu trinken.
Entsetzlich.
Ungeheure Angst überwältigt sie, aber noch während sie denkt, mischte sich eine heimliche Hoffnung in ihre Panik: daß sie vielleicht in der Nacht eine Chance haben könnte …
„Ich möchte weg!“ bettelte sie. „Ich möchte weg von hier!“
Der Drang zu töten kämpft in ihrem Inneren mit dem Wunsch, diesem Drang zu entgehen.
Die Schwester streicht ihr sanft über das Gesicht. „Der Doktor wird gleich zurückkommen…“
Jeannine bleibt bewegungslos und betrachtet die Schwester aus den Augenwinkeln.
„Na … na …“, macht die Schwester. „Legen Sie sich wieder hin und denken Sie nicht mehr daran!“
Jeannine gehorcht. Nicht mehr daran zu denken – das ist unmöglich. Ihr Herz klopft rasend.
Was hat Leggatt in dem finsteren Zimmer gesagt? Was waren seine Worte? Die Angst verschwindet sacht, und ihre Gedanken beruhigen sich.
Lilith? Das ist unsinnig und herrlich zugleich. Unsinnig, weil es einfach unvorstellbar ist, und herrlich, weil es wahr ist!
Die Schwester hat sich vor das Bett gesetzt. „Möchten Sie etwas trinken?“
„Nein.“
Die Schwester greift wieder nach ihrem Buch. Muß sie sie wirklich töten? Sie töten …? Jeannine schaudert. Mit angehaltenem Atem fixiert sie die Schwester. Und weshalb sollte sie sie nicht töten? Töten ist nichts als eine Handlung, wie tausend andere auch! Die Menschen nennen es ein Verbrechen. Warum ein Verbrechen? Es wäre eines, würde das menschliche Leben ewig währen. Aber so? Wenn sie diese Krankenschwester tötete, hieße das doch nichts anderes, als ihren Tod vorzuverlegen. Das wäre alles. Nicht einmal das! Wenn Jeannine sie tötet, heute tötet – so heißt das nichts anderes, als daß die Schwester heute sterben mußte! Daß es ihr Schicksal war, heute zu sterben…
Alle diese verworrenen Ideen gehen Jeannine durch den Kopf. Es ist entsetzlich. Alles das sind Gedanken, die ihr niemals vorher bewußt wurden. Sie fühlt sich, als sollte sie von einem Moment zum anderen mit einem Schlag alle, auch die geheimsten, Gesetze des Universums kennenlernen.
Und doch, der Gedanke zu töten macht ihr immer noch Angst. Er steht im Kampf mit der Sehnsucht, das Blut dieses Mädchens zu trinken. Ihre Lippen sind trocken, ihr Blick wird stechend, und sie senkt die Lider, damit man ihren Blick nicht bemerkt.
Plötzlich senkt sich ein roter Schleier vor ihre Augen, und alles beginnt sich zu drehen. Die Angst kehrt zurück, die Panik und der Terror krampfen sich um ihr Herz.
„Mademoiselle…“
Sie muß alles sagen! Sie muß alles erklären, alle anderen müssen wissen, wie es um sie steht, damit man sie behandeln kann!
Die Krankenschwester beugt sich lächelnd über sie. „Nun, meine Kleine … seien Sie ganz ruhig … möchten Sie etwas?“
Wenn sie alles sagt, wird man sie für verrückt halten und einsperren. Denn auch wenn sie selbst weiß, daß alles wahr ist und stimmt, müssen ihr deshalb ein Arzt oder eine Krankenschwester glauben?
Der weiße Hals beugt sich über sie. Langsam sagt sie: „Wenn ich einmal draußen bin, Schwester, dann werden wir zusammen Abendessen gehen, ja? Aber Sie dürfen es niemandem sagen. Es ist unser Geheimnis…“
Dr. Morestier hat sich entschlossen, Jeannine nach Hause zu bringen. Sein erster Entschluß war, sie bis zur Unschädlichmachung des Monsters bei sich in der Klinik zu behalten, aber die junge Frau hat abgelehnt, und außerdem ist der Kommissar der Ansicht, daß Jeannine einen vorzüglichen Lockvogel abgeben könnte, wenn sie ihren Beruf wieder aufnähme.
Der Arzt hat den Argumenten Fauchards nur ungern nachgegeben.
Während Jeannine sich fertigmacht, diskutiert er noch mit dem Kommissar.
„Schließlich ist es doch Ihre eigene Idee“, meint der Kommissar etwas ungeduldig.
„Ich weiß, ich weiß…“
„Na
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