0772 - Das Gericht der Toten
Tief saugte sie die Luft ein. Sie spürte in den Lungen das Stechen, als wären sie von spitzen Messern durchdrungen worden. Im Kopf ballte sich die Macht zusammen. Blitze durchtosten ihr Gehirn und zuckten unter der Schädelplatte entlang.
Sie bewegte sich. Es war ihr einfach nicht möglich, ruhig stehen zu bleiben. Rose brauchte den Ausgleich durch ihre Gymnastik. Nach einer Weile hörte sie auf und kam erst jetzt dazu, sich richtig umzuschauen. Schließlich musste sie wissen, wo sie sich befand.
Sie hatte in der kurzen Zeit schon einen ziemlich weiten Weg zurückgelegt. Ihren Wagen sah sie nicht mehr. Das lag auch an der Dunkelheit und dem hügeligen Gelände.
Riesen umgaben sie. Steinerne Wächter. Hohe Wände. Schimmernder Fels im kalten Licht der Sterne. Hinzu kam die unendliche Weite des Himmels und die hohen Gipfel. Sie waren so unerreichbar für die Fotografin. Wahrscheinlich deshalb spürte sie ihre Furcht doppelt so stark.
Hatte sie noch Chancen? Sie wusste es nicht, denn Rose ging davon aus, dass dieses Wesen sie möglicherweise witterte. Zombies ließen sich eben gern vom Geruch eines Menschen leiten.
Wo konnte sie sich verstecken?
Kälte kroch über ihren Rücken. Sie spürte die Gänsehaut. Unter den Haaren kribbelte es. Der Mund war trocken, die Kehle ebenfalls.
Staub lag in der klaren Luft. Das Sternenlicht ließ ihn kostbar glitzern. Nicht weit von ihr entfernt ragte eine Felswand hoch. Sogar ziemlich zerklüftet, und an manchen Stellen glaubte sie sogar, so etwas wie eine Treppe zu sehen, die als natürliche Formation in die Höhe führte.
War das der Weg?
Nein, wenn sich die Verfolger auf ihre Fersen hefteten, hatte sie da keine Chance. Rose erschrak darüber, dass sie in der Mehrzahl gedacht hatte.
Himmel, gab es denn mehrere dieser Bestien, die hier lauerten?
Verstecke existierten genug. Hinter jedem großen Stein oder an jeder Spalte konnten sie sich verborgen halten.
Rose schüttelte den Kopf, als hoffte sie, dadurch einen Teil ihrer Angst loszuwerden.
Längst nicht mehr so locker setzte sie ihren Weg fort. Sie war innerlich stark angespannt und äußerlich ebenfalls. Ihre linke Kniescheibe schmerzte bei jedem Schritt. Ihre Augen brannten, obwohl sie nicht weinte.
Rose Cargill suchte in dieser einsamen Bergwildnis nach einem Versteck. Sie musste sich einfach verbergen, und als hätte sie einen Führer neben sich gehabt, fand sie sogar einen schmalen Weg, der sich dabei dicht an der Felswand hielt und in deren Schatten eingetaucht war. Dieser Pfad verlief in zahlreichen Kurven auf die Felsen zu.
Immer wieder duckte sie sich, schaute sich dabei um, ging weiter, und das genau wurde ihr zum Verhängnis.
Ein Fehltritt reichte aus.
Der leise Schrei kam ihr vor, als hätte ihn ein Fremder ausgestoßen. Rose rutschte tiefer. Sie glitt einen blanken Felshang hinab. Die Angst wuchs blitzschnell, und erst von einem aus dem Fels wachsenden Stein wurde sie aufgehalten. Daran klammerte sie sich fest.
»Geschafft!«, keuchte sie. »Du hast es geschafft! Du bist entwischt. Du bist nicht verletzt…«
Sie beruhigte sich wieder. Dann schaute sie nach vorn. Sehr tief wäre sie nicht gerutscht. Eine kleine Mulde hätte auf sie gewartet und sie aufgefangen.
Durchatmen. Sich fangen. Wieder zurücklaufen…
Der Gestank traf sie wie ein Schlag. Als hätte ihr jemand einen modrigen Lappen in das Gesicht gedroschen. Die Fotografin erstarrte, denn sie wusste, was dieser Gestank zu bedeuten hatte.
Das Wesen war da!
Sie hätte schreien können, sie wünschte sich in einen tiefen Albtraum hinein. Das half nichts. Stattdessen drehte sie den Kopf und schaute den letzten Rest des Wegs zurück.
Da oben stand er!
Ja, es war ein Er und kein Es. Es war nicht das gleiche Wesen wie an ihrem Wagen, da oben lauerte ein zweites Monster, das anders aussah als das erste.
Das Wissen erwischte sie mit aller Deutlichkeit. Es krallte sich in ihrem Gehirn fest. Es war einfach furchtbar, es war der Schrecken an sich, weil der Albtraum zur Wahrheit geworden war.
Manu hatte Recht gehabt. Da oben lauerte ein Zombie…
Eine menschliche Gestalt, die im Sternenlicht und dem eines wie aufgeblasen wirkenden Halbmondes grünbleich schimmerte. So musste eine Leiche aussehen, die nach einigen Wochen aus dem Grab geholt worden war. Normalerweise bewegten sich Leichen nicht mehr, diese Gestalt über ihr tat es aber, denn sie streckte die Hände und ihren Kopf vor, sodass Rose in das verunstaltete Gesicht schauen konnte.
Es war
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