0772 - Die Rache des Toten
zwar früh am Tage.« Sie blickte auf ihre Uhr. »Schon nach ein Uhr. Rufen wir uns eines dieser kleinen schicken Taxis…«
Eine Stunde später befanden sie sich wieder bei ihren Fahrzeugen. Der Taxifahrer zog zufrieden ab. Vermutlich hatte er das Geschäft des Jahres gemacht. Das Trinkgeld war sehr üppig gewesen.
»Am liebsten würde ich den Leihwagen stehen lassen und schlafen«, sagte Nicole. »Ich bin hundemüde, nach den Anstrengungen der letzten Tage…«
In diesem Augenblick klingelte ihr Handy. Als Melodie hatte sie den Anfang von Beethovens fünfter Symphonie ausgewählt. Der so genannten Schicksals-Symphonie!
Tatatata. Eines der bekanntesten Musikstücke aller Zeiten - und eines der allerbesten.
Sie zögerte, den Empfang zu bestätigen.
»Da ist etwas passiert, Chef«, sagte sie düster. Sie hatte eine dunkle Vorahnung.
»Das kannst du erst dann wissen, wenn du mit dem Anrufer sprichst.«
Sie hielt das Handy an das Ohr. »William, ja…«
Ihre Augen weiteten sich vor Schrecken. Sie zögerte, weiter zu sprechen. Ihr Gesicht wurde mit einem Schlag kalkweiß. Aber das konnte man bei Nacht nicht erkennen.
»Was ist?«, wollte Zamorra wissen.
Nicole starrte ihn entsetzt an. »Fooly ist tot!«
***
»Ich bringe ihn um!«, sagte William leise.
Seine Wangen wirkten eingefallen. Er schien um Jahre gealtert. Er wollte nicht glauben, dass Fooly tot war. Seit er den Drachen adoptiert hatte, fühlte er sich als dessen Vormund. Wohin hätte Fooly auch gehen sollen? Ins Drachenland zurück konnte ein Drache ohne Elter erst wieder, wenn er erwachsen war.
»Stellt sich die Frage, wen wollen Sie umbringen?«
Zamorra wirkte gefasster als sein Diener. Er und Nicole Duval waren erst vor wenigen Minuten aus Andorra zurückgekehrt.
Noch nie hatten sie den schottischen Butler in einem solchen Zustand erlebt. Normalerweise konnte den nichts erschüttern. William wirkte stets zuvorkommend und ausgeglichen. Er besaß einen trockenen Humor sowie einen scharfen Verstand. Sicher, im Laufe der zehn Jahre, die er jetzt schon auf Château Montagne diente, war er etwas lockerer geworden. Aber eine derartige Entgleisung gestattete er sich normalerweise nicht. Das bewies nur, wie sehr er an dem Jungdrachen hing.
Gehangen hatte, verbesserte sich Zamorra. Er konnte immer noch nicht glauben, dass Fooly den Weg alles Irdischen gegangen war.
Wie oft haben wir uns gegenseitig geärgert, in all den Jahren, dachte er melancholisch. Und wie oft ist er, wie selbstverständlich, für uns da gewesen.
Er hatte den Jungdrachen untersucht, auch mit Merlins Stern. Doch das Amulett reagierte überhaupt nicht. Er konnte höchstens noch mit der Zeitschau versuchen herauszufinden, woran Fooly gestorben war.
Tränen standen ihm in den Augen, er schämte sich ihrer nicht. Auch Nicole schniefte, obwohl sie sich sooft über Fooly geärgert hatte.
»Das weiß ich eben nicht«, gestand William endlich mit heiserer Stimme. »Ich kann nur annehmen, dass es sich um den Herrn handelt, der für Ihre Abwesenheit verantwortlich war.«
»Luc Avenge?«, fragte Zamorra. Auch in seiner Kehle schien ein gewaltiger Kloß zu stecken.
William nickte.
Der Parapsychologe wiegte unschlüssig den Kopf. »Die Vermutung liegt nahe, dass Avenge dahintersteckt, aber wir müssen erst Gewissheit bekommen. Hüten wir uns vor Vorverurteilungen.«
Der Butler senkte den Kopf. »Sie haben Recht«, sagte er und blickte Nicole und Zamorra entschuldigend an. »Verzeihen Sie mir bitte die harte Reaktion von eben. Es soll nie wieder Vorkommen, dass ich mich so gehen lasse. Ich weiß selbst nicht, wieso…«
»William, bitte«, stoppte Nicole seinen Redefluss. »Jeder andere hätte an Ihrer Stelle ebenso gehandelt. Sprechen wir nicht mehr darüber.«
Während Nicole und William miteinander redeten, handelte Zamorra. Er kniete vor dem Jungdrachen und hielt Merlins Stern in beiden Händen. Auf dem Mini-Monitor lief die Zeitschau ab, er hielt die Augen geschlossen.
Als Fooly sich auf das Bett legte, hielt er das Bild an. Er ließ es langsam vorlaufen, damit sie alles mitbekamen.
Nicole und William blickten sich an. Es war ein seltsames Gefühl, den toten Drachen auf dem Mini-Monitor agieren zu sehen. Und wie quicklebendig er dort war!
MacFool schloss die Augen. Er schien zu schlafen. Nur das Zucken seiner Arme bewies, dass noch Leben in ihm steckte. Nach kurzer Zeit erwachte er, stand auf, trank etwas und legte sich erneut nieder.
»Hat er meditiert oder war er sonst wie in
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