0779 - Der Nebelwolf
Licht, es wollte die Nacht bringen, um in ihrem Schutz das Grauen zu verbreiten.
Auch vor der Scheibe lag es. Die Schwärze »glotzte« in das Haus.
Sie bewegte sich vor. Für Bruchteile von Sekunden schien sich die Scheibe zu bewegen, und Jim Graves trat einen Schritt zurück, als könnte er das Dunkel so abwehren.
Er hörte hinter sich einen dumpfen Laut. Hastig drehte er sich um.
Sein Vater war zusammengebrochen. Er hatte sich nicht mehr auf den Füßen halten können. Beim Versuch, den Sessel zu erreichen, war er auf die Kante gefallen, abgerutscht und auf den Boden gefallen.
Jim hörte ihn stöhnen. Er sah die langsame Bewegung seines Vaters, als dieser die rechte Hand hob. Dann kroch der ältere Mann auf allen vieren über den Boden. Jim hörte ihn heftig keuchen, er selbst stand da und schaute zu Boden.
Er hätte Malcolm helfen müssen, er tat es nicht, blieb nur stehen und wartete ab.
Malcolm kroch durch den Raum. Ungewöhnliche Laute drangen aus seinem Mund. Es war kaum zu erkennen, ob sie von einem Menschen oder einem Tier abgegeben wurden. Er hörte ihn ächzen und jammern, seine Hände schabten über den Teppich, und Jim drehte schließlich den Kopf und schaute zur Lampe. Es war die einzige Lichtquelle, eine schlichte Wandleuchte, die ebenfalls Licht verlor.
Der Schatten war da.
Er hatte sich in den Raum hineingeschlichen. Kein Fenster und keine Mauer hatte ihn aufhalten können. Wie ein düsteres Gespinst legte er sich über die Insel der Helligkeit und zeigte, wer hier herrschte.
Jim Graves tat nichts. Er stand da und stierte zu Boden. Etwas bohrte sich in seinen Kopf. Erklären konnte eres kaum. Es waren lange, dünne und spitze Finger, pechschwarz, die sich nicht aufhalten ließen.
Sie erwischten ihn.
Sie hielten ihn fest.
Sie übernahmen ihn.
Es war ein unheimlicher Vorgang, der sich auch äußerlich bei Jim abzeichnete. Sein Gesicht nahm einen anderen Ausdruck an. Nicht dass es düster und gleichzeitig auch bleicher wurde, was kaum zu verstehen war, es bekam auch einen seltsamen Zug, so böse und verzerrt. Die Augen glänzten matt und gleichzeitig dunkel.
Jim spürte in seinem Hirn die kalten Finger. Dünne Eiskanäle, die sich hineingebohrt und von ihm Besitz ergriffen hatten. Die Schwärze hatte gewonnen.
Er drehte sich um.
Sein Vater lag am Boden. Dicht neben dem Sofa hatte er seinen Platz gefunden. Er lag auf dem Rücken, einen Arm erhoben, die Hand noch in den Sitz des Sofas gekrallt, als wollte er sich im letzten Augenblick daran hochziehen.
Das aber tat er nicht. Er blieb in seiner steifen Lage. Laut pfiff der Atem aus seinem offenen Mund.
Sein Sohn ging weg. Er wollte nicht mehr länger im Wohnraum bleiben. Wie ein Fremder tappte er durch das Haus und machte den Eindruck eines Mannes, der irgendetwas suchte, aber nicht wusste, was es war. Er ging einfach umher, die Schatten in seinem Hirn, die ihn leiteten. Das konzentrierte Böse hatte seinen Platz in der Erde verlassen, um nun die Menschen anzugreifen.
Auch die Graves blieben nicht verschont. Jim handelte schon wie eine Marionette. Er tappte in das Schlafzimmer hinein und blieb neben dem Bett stehen.
Aus veränderten, trüben und trotzdem irgendwie kalten Augen schaute er über die Liegestatt hinweg. Jim wusste nicht, was er wollte, er wusste nur, dass er etwas wollte.
Er tappte vor.
Langsam, zögernd, dann schneller, und dabei holte er einige Male tief Luft.
Dann war er da. Er sah das Kissen. Alles geschah bei ihm automatisch. Er griff mit beiden Händen zu. Die Arme zuckten zurück, zwischen sich das Kopfkissen haltend. Aus seinem Mund drang ein Geräusch, das sich wie ein Grunzen anhörte. Es klang böse und rau, er selbst bekam davon eine Gänsehaut.
Sehr langsam, drehte er sich herum, und das Kissen machte diese Bewegung mit. Jim sah die Tür. Er hatte sie nicht geschlossen. Dahinter lag der schmale Flur, dann würde die Treppe beginnen, er würde sie nach unten gehen, und er sah auch hinter der Tür die gefährliche Düsternis. Sie hatte sich im Flur ausgebreitet, lag dort wie schwarze Watte, durch die er gehen musste.
Er würde es tun. Es blieb ihm nichts anderes übrig. Es würde ihm auch nichts ausmachen.
Er lächelte.
Grausamkeit zeigte dieses Lächeln. Die Lippen hatte er in die Breite gezogen. Der stiere Blick seiner schattigen Pupillen war weiterhin auf die Tür gerichtet. Jim betrat den Flur. Er hatte das Gefühl, in einen langen Tunnel zu gehen. Wie von einem Band gezogen, drehte er sich nach
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