0780 - Der Geist des Baphomet
Sorge, Dennis. Wir brauchen ihn nicht zu suchen. Dein Daddy ist schon okay, er ist unterwegs und schaut sich um. Vor ihm haben die Menschen viel Respekt.«
Dennis nickte ernst. »Das stimmt. Er trägt auch eine Uniform. Aber du hast keine an.«
»Nein, nicht alle Polizisten tragen Uniformen.«
»Richtig, richtig, das kenne ich aus dem Fernsehen.« Er war plötzlich Feuer und Flamme. Wieder erlebte ich, dass Kinder schnell vergessen und sich rasch auf neue Situationen einstellen können. Das gab ihnen einen Schutz, den sie auch verdient hatten.
»Bist du ein Agent?«
»Das nicht.«
»Lass mich raten. Du kommst bestimmt von weit her – oder?«
»Aus London.«
»Dann bist du von Scotland Yard.«
»Treffer!«
»Ohhh«, staunte er, »das ist ja super. Mein Daddy wird sich freuen, wenn er dich sieht. Er hat schon oft davon gesprochen. Er war nämlich mal in London und hat das Yard besichtigt. Ist nicht lange her. Ich wollte mit, aber ich durfte nicht.« Dennis machte ein trauriges Gesicht. »Schade ist das gewesen.« Im nächsten Augenblick wechselte seine Stimmung. »Oder kann ich dich besuchen?«
»Später vielleicht.«
Er hielt mir die Hand hin. »Versprochen, John?«
Ich schlug ein. »Okay, Dennis, versprochen.«
»Danke.«
Wir saßen in der Küche und unterhielten uns, als wäre nichts geschehen. Dabei umgab mich die Furcht wie ein dichter Vorhang. Ich wusste, dass hier in Trevine etwas geschehen würde. Das Grauen hatte längst Gestalt angenommen, und es gefiel mir persönlich auch nicht, dass ich hier oben unter dem Dach in einer kleinen Wohnung hockte und nicht wusste, wo sich der Werwolf versteckte.
Wahrscheinlich geschehen schlimme Dinge in der Zwischenzeit, obwohl keine Schreie oder irgendwelche verräterischen Laute zu hören waren. Der Nebel sorgte für das große Verschlucken.
Wann würden die alarmierten Soldaten eintreffen? Ich schaute auf die Uhr.
Nicht mehr ganz zwei Stunden bis zur Tageswende. Ich überlegte, ob ich Dennis allein lassen konnte. Nein, das wäre zu riskant gewesen. Möglicherweise hätte er sich auch selbst in Gefahr gebracht, denn ich traute ihm zu, dass er zu seiner Mutter ins Schlafzimmer ging und sie von den Klebebändern befreite.
»Mummy hat bestimmt nur Spaß gemacht, als sie mir das Messer zeigte«, unterbrach er meine Gedanken. »Sie ist meine Mutter. So etwas tut doch keine Mutter.«
»Da hast du Recht.«
»War aber ein komischer Spaß.«
»Nun ja, Dennis, die Erwachsenen sind manchmal schon komisch.« Ich wusste sonst auch nicht, was ich sagen sollte. Verdammt noch mal, das war eine dieser Situationen, die ich hasste. Ich fühlte mich unwohl, und auch Dennis senkte den Kopf.
Wir saßen in einem rechten Winkel zueinander. Der Junge auf der schmalen Seite der Eckbank, ich auf der längeren. Ich schaute direkt auf ein schräges Fenster, das sich mir gegenüber oberhalb der Küchenzeile in dem Dach abzeichnete. Dahinter sah ich die grauen Schwaden wie lange, dichte Arme, als wollten sie das Glas streicheln.
Zwar brannte die Deckenleuchte, aber nicht alle Birnen, sodass der Raum in ein warmes, nicht zu helles Licht getaucht war.
»Wann kommen denn deine Freunde?«, fragte Dennis wieder.
»Vielleicht in einigen Minuten. Sie werden es nicht leicht haben bei dem Nebel.«
Dennis nickte und malte Figuren auf die Tischplatte. »Ja, der kommt immer. Fast jeden Abend. Nur manchmal im Sommer nicht. Meine Mum mag ihn nicht, aber Daddy will hier nicht weg. Er ist nämlich in Trevine geboren. Hier kennt er auch jeden.«
»Das kann ich mir denken.«
»Und ich kenne auch alle.«
»Hast du viele Spielkameraden?« Ich wollte ihn mit meiner Frage von den wahren Problemen etwas ablenken.
»Es geht. So viele Kinder sind ja nicht hier. Am liebsten spiele ich mit Martin.«
»Ist er in deiner Klasse?«
»Ja. Der ärgert die Lehrer immer.« Dennis grinste. »Weißt du, was der in der letzten Woche gemacht hat?«
»Nein, weiß ich nicht. Aber du wirst es mir sicherlich erzählen, wie ich dich kenne.«
»Klar, das war ein Ding. Wir haben eine Lehrerin, und die hat Angst vor Fröschen. Sie ist noch jung und soll nicht lange bleiben, weil sie…«
Ich hörte die Stimme des Jungen, nahm aber nicht auf, was er mir alles sagte, denn ich hatte etwas gehört und dann auch gesehen.
Mein Blick erwischte wieder das Fensterquadrat, hinter dem der Nebel in dichten Wolken trieb. Natürlich konnte ein fantasiebegabter Mensch die Schwaden deuten und in ihnen Figuren entdecken, aber
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