0783 - Der Tunnel
wunderschöner Anblick, denn auf ihren verschneiten Kuppen lag Schnee, der das Licht der Sonne reflektierte.
Ich hatte die Hände tief in den Jackentaschen vergraben und fror trotzdem. Es war doch kalt geworden und roch nach Schnee.
Alet-les-Bains war zum Leben erwacht. Die Menschen gingen wieder ihren Tätigkeiten nach, der übliche Morgen brach an. Autos wurden gestartet, verließen die kleine Stadt. Qualmwolken zerfaserten, und plötzlich stank die Luft nach Abgasen, so daste ich keine Lust mehr hatte, die Berge zu bewundern.
Als mich zwei Fahrzeuge passierten, erinnerten sie mich an Eiskäfige. Die Fenster waren zugefroren, zumindest von innen beschlagen, und die Fahrer rollten fast blind dahin. Während sie fuhren, wischten einige von ihnen an der Frontscheibe herum.
Ich ging wieder zurück. Ein kurzer Weg nur. Vor mir lag der Ort wie auf dem Präsentierteller. Aus dem Kamin stiegen die weißgrauen Rauchfahnen, die Stimmen klangen ungewöhnlich laut in der klaren Luft, und auch die Templer heizten.
Das Haus machte einen stillen Eindruck. Es lag möglicherweise an meiner Stimmung oder an den Vorfällen, dass ich so dachte. Ich ging auf die Eingangstür zu. Das Pflaster vor dem Haus schimmerte, weil es im Schatten lag und eine graue Eisschicht sich hatte bilden können. Es war zu einer Rutschbahn geworden.
Mein Leih-Renault stand dort und war ebenfalls wie von einem gewaltigen Spinnennetz umwickelt. Weiß und eisig, sehr dicht, so dass ich kaum einen Blick durch die Scheiben nach innen werfen konnte. Es interessierte mich auch nicht. Ich wollte mit meinen Freunden sprechen, ich musste sie ebenfalls auf meine Reise vorbereiten, denn mir gehörte ja der Knochen-Sessel. Ich hatte ihn nur bei den Templern abgestellt. Allerdings war es mir nicht gelungen, herauszufinden, wie der Mann geheißen hatte, aus dem der Sessel gefertigt worden war.
Die Tür war nicht verschlossen. Ich drückte sie auf. Meine Bewegungen kamen mir vor, als wären sie in einem Zeitlupentempo geführt worden. Es war alles wie sonst, nichts hatte sich verändert, und es kam mir trotzdem anders vor.
Es lag an den Ereignissen der nahen Vergangenheit. Die Templer hatten gewonnen, okay, aber es war längst kein Grund für sie, in Jubelgesänge auszubrechen. Sie wussten, dass es nicht der große endgültige Sieg über den mächtigen dämonischen Feind war.
Ich betrat die kleine Halle, schaute auf die Steinfliesen und wurde von einer dichten Stille umfangen. Auch sie empfand ich als anders, denn es war die Stille des Todes. Ich spürte, dass ich mich in einem Trauerhaus aufhielt. Der tote Alain Ducasse wurde in der kleinen Kapelle aufgebahrt, die sich an die Rückseite des Hauses anschloss.
Dort ging ich hin. Kaffeeduft begleitete mich. Mein Gaumen zog sich zusammen, auch ich spürte den plötzlichen Drang, den Morgenkaffee einzunehmen.
Dennoch wollte ich erst von Alain Abschied nehmen. Er war der Mann mit dem Messer gewesen, ein Mörder, aber er hatte sich nicht selbst gelenkt, sondern war von anderen Mächten gesteuert worden.
Ich öffnete die schmale Tür und trat ein in das Halbdunkel. Eine schlichte Kapelle mit Fenstern, die nicht sehr groß waren. Durch sie sickerte bleiernes Tageslicht und verteilte sich auf dem Fußboden wie Wasserflecken.
Der Sarg stand vor dem schlichten Altar. Ich hatte damit gerechnet, allein zu sein, doch ich schaute auf den Rücken einer Gestalt, die in der ersten Reihe saß und den Eindruck machte, als wollte sie von dem Toten endgültig Abschied nehmen.
Von hinten konnte ich den Templer nicht erkennen. Als ich jedoch neben ihm stehenblieb, um wenig später ebenfalls in die Bank zu gehen, sah ich, dass es Lucien war. Er hatte praktisch die Nachfolge des Abbé übernommen, wandte den Kopf, nickte, als wollte er sich selbst bestätigen. Er schien damit gerechnet zu haben, von mir Besuch zu bekommen.
Ich setzte mich hin.
Mein Blick fiel auf den offenen Sarg. Er stand längs zu uns, und wenn ich den Kopf etwas reckte, konnte ich in das wachsbleiche Totengesicht des Alain Ducasse schauen. Zwei Kerzen hatten in hölzernen Leuchtern ihren Platz gefunden. Sie brannten ruhig, und ihr Licht kam mir seltsam glanzlos vor, als hätte es sich der Situation angepasst.
Ich wusste, wie der Templer gestorben war. Er hatte sich auf dem Skelett-Sessel hockend selbst umgebracht. Es war schlimm gewesen, aber von seinen Wunden war nichts mehr zu sehen. Die Freunde hatten ihn gewaschen und ihm ein weißes Totenhemd
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