0783 - Der Tunnel
klar. Wir werden dich nicht stören, John.«
Ich stand auf. »Wie lange willst du noch bleiben?«
»Einige Minuten schon. Es gibt Dinge im Leben, für die sollte man sich Zeit nehmen.«
»Stimmt.«
Er drückte mir die Hand. Ich schob mich aus der Bank und verbeugte mich vor dem Toten. Danach verließ ich auf leisen Sohlen die Kapelle. Der Kaffeeduft wehte noch immer durch die Flure des Hauses, und in mir drängte sich auch ein Hungergefühl hoch. Deshalb führte mich mein Weg in die große Küche der Templer, wo sich die Mehrzahl der Männer um den großen viereckigen Holztisch versammelt hatten. Sie begrüßten mich durch Kopfnicken und leise Worte, rückten schweigend zusammen, damit ich noch einen Platz kriegte.
Ein schlichtes Frühstück reichte ihnen aus. Ich schenkte mir aus der großen Kanne den Kaffee ein und griff zu einem Milchbrötchen.
Ich aß und trank schweigend, wobei ich mich meiner Umgebung angepasst hatte. Natürlich erwarteten die Freunde auch von mir Erklärungen, leider konnte ich ihnen meinen zukünftigen Weg noch nicht offenlegen. Wir sprachen über den Abbé, der allgemein sehr vermisst wurde, aber auch über Suko. Es gab auch die Meinung, dass es keiner der beiden schaffen konnte, die andere Welt zu verlassen.
Diese Meinung ließ ich nicht gelten. »Ihr solltet nicht so pessimistisch denken. Zwar bin ich nicht allzugut über Avalon informiert, aber ich weiß doch, dass es einige Wege gibt, die aus dem Land herausführen. Man muss sie nur finden.«
»Kennt der Abbé diese Wege ebenfalls?«, fragte jemand aus der Runde.
Ich hob die Schultern. »Vielleicht nein, vielleicht ja. Er und Suko werden schon Möglichkeiten finden, wobei mein Freund ihn führen kann. Da ist dann auch die Blindheit des Mannes nicht so schlimm. Suko wird immer an seiner Seite bleiben.«
Ich erntete nur wenig Zustimmung. Die meisten schauten mich skeptisch an, was ich ihnen nicht verübeln konnte, sie hatten die Macht der anderen Seite selbst hautnah in der Schlacht erlebt.
Ich trank von meinem Kaffee und musste die Schale mit beiden Händen halten, weil sie so breit war. Die Müdigkeit verschwand zwar nicht, aber ich fühlte mich etwas besser. Nur mein Blick war ins Leere gerichtet, ich hing meinen Gedanken nach, die vom Eintritt eines weiteren Templers unterbrochen wurden. Er trat an den Tisch heran und blieb dicht neben mir stehen. Sein Gesicht lag dabei im Schatten, denn das Licht der Deckenleuchte fächerte nur über den Tisch hinweg.
»John…«
Ich drehte den Kopf.
»Ich muss dich bitten, zum Telefon zu kommen. Es ist ein Gespräch aus London.«
»Mein Chef?«
»Ja, ein Sir James.«
Ich stand auf, nickte in die Runde, wusste auch nicht, warum ich plötzlich den Magendruck bekam. Schon jetzt wusste ich, dass sich etwas ahnte, das meine Pläne über den Haufen werfen konnte.
Mit weichen Schritten folgte ich dem Boten.
***
»Soll das immer so weitergehen?«, fragte Lisa Braddock ihren Mann, als dieser wieder von einem Telefonat zurückkehrte, das nichts gebracht hatte.
»Was meinst du damit?«
»Dein Zustand.«
Braddock setzte sich und seufzte. Der große Mann war in den letzten Tagen ziemlich eingefallen. Es sah so aus, als wäre die Kraft aus seinem Körper herausgesaugt worden. Sein Blick war alt und leer geworden. Auch die Frische der Haut gab es nicht mehr, und in das schwarze Haar hatten sich einige graue Strähnen mehr verteilt.
Hinter ihm lagen schlimme Tage. Er hatte natürlich der Direktion Bericht erstatten müssen, aber er war damit nicht durchgekommen.
Man hatte ihm einfach nicht geglaubt. Ed Hallorans Verschwinden war zu unnatürlich gewesen. Sie hatten Braddock behandelt wie bei einem Verhör, all die Typen in ihren dunkelblauen Anzügen, den kalten Gesichtern und den gierigen Augen, die nur darauf lauerten, Profite zu machen. Sie waren ja nicht an der Front, sie hockten auf ihren fetten Ärschen in den weichen Ledersesseln und steuerten die Geschicke des Konzerns. Es ging um den Gewinn, und es ging auch darum, nicht aufzufallen. Es stand bereits genug Ärger mit den Umweltschützern im Raum. Es gab Verfahren und Prozesse, denn die Leute wollten aus guten Gründen nicht, dass noch mehr Raubbau an der Natur betrieben wurde. Diese Probleme reichten den Managern. Sie konnten keine weiteren gebrauchen, erst recht keine, für die sie weder eine Erklärung noch eine Lösung wussten.
Deshalb brauchten sie einen Sündenbock, und der sollte Braddock sein. Sie hatten bereits über
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