0788 - Herr der Insekten
Das eine hängt möglicherweise mit dem anderen zusammen. Ich habe nie zu hoffen gewagt, einmal einem solchen Typus Mensch zu begegnen. Der Junge hat die Viecher unter perfekter Kontrolle.«
Er atmete tief durch.
»Was wir nicht wissen, ist, warum er Claudine töten ließ. Die Insekten müssen irgendwie in sie eingedrungen sein und haben sie von innen heraus umgebracht.«
»Das ist perfekt, Chef«, stellte Nicole fest. »Er kann sie morden lassen, und niemand kann es ihm beweisen. Wer glaubt denn schon an seine Verbindung zu den Insekten?«
»Insekten gibt es überall auf der Welt«, murmelte Zamorra. »Er hat eine gigantische Armee zur Verfügung. Wo auch immer er ist, kann er sein Unheil verbreiten…«
»Wieso reagierte dein Amulett nicht auf ihn? Die Schwarze Magie in ihm muss doch gewaltig sein.«
»Ich glaube, sein Para-Können basiert auf einer anderen Grundlage«, sagte Zamorra. »Nici, der Junge ist heute sechzehn geworden. Weißt du, was vor achtzehn Jahren geschehen ist? Tschernobyl! Die Reaktor-Katastrophe!«
»Du glaubst, seine Fähigkeit ist auf radioaktive Strahlung zurückzuführen? Aber als der Reaktor durchbrannte, war er doch noch gar nicht geboren.«
»Vielleicht wurde sein Vater geschädigt und hat die Mutation an ihn weitergegeben. Vielleicht war auch Daro Yol ein Insektensprecher. Und wer weiß, was für Mutanten es noch gibt, von denen wir noch nie etwas mitbekommen haben, weil ihre geistigen Fähigkeiten irgendwie versteckt oder blockiert sind. Hier muss die Gabe auch erst gestern oder in den letzten paar Tagen aktiviert worden sein, wodurch auch immer.«
»Das könnte auch eine Erklärung für den Absturz sein«, spekulierte Nicole. »Womöglich wollte er seinen Sohn schützen und nimmt den Mord an Claudine auf sich, indem er sich opfert.«
Zamorra war sich da nicht so sicher.
»Was tun wir jetzt?«
»Übernachten«, sagte Zamorra. »Aber hier in Lyon, dann sind wir gleich wieder am Ball, ohne hin und her fahren zu müssen…«
Nicole zeigte sich wenig begeistert. »Gegenvorschlag«, sagte sie und ließ den BMW langsam weiter rollen. »Wir lassen den Wagen am Stadtpark stehen und kehren via Regenbogenblumen ins Château zurück. Dort können wir im eigenen Bett schlafen, und morgen sind wir ebenso schnell wieder hier.«
»Du hast Recht«, erkannte Zamorra. »Dann gib mal Gummi!«
Nicole erhöhte das Tempo und suchte nach einer Straße, die sie direkt zum Stadtpark bringen sollte.
Vor ihnen flackerte plötzlich Blaulicht.
»Da ist was passiert«, sagte Zamorra wie elektrisiert.
»Aber das Flugzeug ist doch ganz woanders abgestürzt«, wunderte sich Nicole.
Augenblicke später stoppten sie dort, wo es von Polizisten wimmelte. Im Scheinwerferlicht stand Chefinspektor Robin.
»Der kriegt wohl auch nie genug…«
Und dann glaubten sie beide, jemand zöge ihnen den Teppich unter den Füßen weg, als sie Robin sagen hörten: »Daro-Yol ist direkt vom Himmel und uns vors Auto gefallen…«
***
Am Morgen zur gewohnten Zeit betrat Dr. Renoir seine Arbeitsräume in der Gerichtsmedizin. Und vernahm ein seltsames Geräusch, das er hier noch nie gehört hatte. Da klopfte doch jemand…
Irritiert lauschte er.
Dabei sah er sich um. Er hatte gestern am späten Abend, als er Feierabend machte, die sterblichen Überreste von Claudine Mesmer in eines der Kühlfächer gelegt. Jetzt stand da wieder eine Transportbahre, unter deren Tuch sich die Umrisse eines menschlichen Körpers abzeichneten.
Von dort kam das Klopfen jedenfalls nicht!
Renoir trat an die Bahre. Jemand von der Nachtschicht hatte sich um den Toten gekümmert, war dabei aber nicht besonders sorgfältig vorgegangen. Der Leichnam steckte noch in der blutverschmierten Kleidung, und das Namensschild war logischerweise nicht am Zeh, sondern am Schuh befestigt.
»Sturz aus großer Höhe«, erkannte Renoir spontan. Dann erst warf er einen Blick auf den Zettel mit dem hingekritzelten Namen.
»Daro Yol?«, wunderte er sich, weil der Mann doch gestern noch quicklebendig gewesen war. »So schnell kann’s vorbei sein…«
Aber woher, verdammt, kam dieses Klopfen?
Doch nicht aus einem der Kühlfächer?
Dr. Renoir verzog das Gesicht. Dann ging er hinüber und öffnete eine der Klappen nach der anderen.
Aus der, in die er gestern Abend Claudine Mesmer gepackt hatte, schwirrten Insekten hervor, die sich aber nur schwer in der Luft halten konnten. Die Kälte machte ihnen zu schaffen.
Jemand stöhnte.
Renoir zog die Platte halb
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